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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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Russland. Der alte Fuchs strenge sich nicht genügend an, hatte Katharina zu mir gesagt. Bei seinem letzten Besuch habe er sie gebeten, sich noch ein wenig zu gedulden, und sie habe ihm erwidert, wenn er es nicht schaffe, Graf Poniatowski nach Sankt Petersburg zu holen, müsse sie sich überlegen, ob nicht vielleicht die Schuwalows mehr Erfolg hätten.
    Die Kaiserin saß in ihrem Lehnstuhl, ließ sich eine Scheibe Schweinebauch schmecken und blickte auf die von ihr arrangierte Szene. Ihre Füße ruhten auf einem gepolsterten Schemel, weich umflossen von den Falten ihres purpurnen Kleids. »Ich will niemanden sehen, Warwara«, hatte sie befohlen. Niemand sollte ihre rot geränderten Augen sehen, dachte ich. Selbst eine schlaflose Nacht war jetzt ein Staatsgeheimnis.
    Ich, ihr Wach- und Spürhund zugleich, stand hinter ihrem Stuhl. Ich wusste, welche Art von Geschichten sie gerne hörte. Es war einmal eine böse Mutter und eine gute Tante … ein törichter Prinz, der des Throns unwürdig war … ein von Gott gesegnetes Kind, das Russland Glück und Heil bringen würde.
    Der Großfürst hatte unter einem Vogelkäfig zur Rechten der Kaiserin Platz genommen, die Hände ineinander verkrampft, um sie ruhig zu halten. Katharina hatte ihn dazu überredet, die grüne Preobraschenski-Uniform anzuziehen. Ein einziges Mal hatte er sie bei einem Besuch im Kinderzimmer begleitet – widerwillig,
denn, so hatte er vorwurfsvoll gefragt, was soll ein Vater mit einem Kind anfangen, das noch nicht einmal marschieren kann?
    Die Großfürstin erging sich in Lobreden. Sie pries alles und jedes, die Blumen, die Vögel, die leichte Brise, die den Duft von Rosen und Honig hereintrug. Sie trug ein schlichtes Sommerkleid aus weißem Musselin mit Satinbändern, gleichwohl zog sie alle Blicke auf sich. Selbst Iwan Schuwalow flüsterte ihr ein Kompliment zu, das Katharina mit einer anmutigen Neigung des Kopfs, halb versteckt hinter ihrem Fächer, entgegennahm. Sie ging von einer Gruppe zur nächsten, nickte und lächelte den Gästen zu, reichte ihnen die Hand und sagte ihnen Nettigkeiten.
    Nur den Kanzler ignorierte sie demonstrativ, schaute weg, als er sich vor ihr verbeugte, drehte sich um und entzog sich ihm, bevor er auch nur einen Schritt auf sie zu tun konnte.
    Er runzelte die Stirn. Er schüttelte den Kopf.
    Er versuchte es noch einmal, und wieder schnitt sie ihn.
    Es war wie ein Spiel, veranstaltet zum Amüsement des Hofs: Katharina, ein kaum wahrnehmbares Lächeln auf den Lippen, in flinken Wendungen immer auf der Flucht, der Kanzler auf ihren Fersen, grimmig entschlossen nicht aufzugeben, während Iwan Schuwalow schmunzelnd zusah.
    Die Kaiserin wurde unruhig, sie mochte es nicht, wenn nicht alle Aufmerksamkeit ihr zugewandt war. Ich schob ihre Kissen zurecht. Das hinter ihrem Rücken war schweißnass.
    Zu meiner Erleichterung stand jetzt Iwan Schuwalow auf und begann, eine Hand auf der Herzgegend, eine Ode An die herrliche Minerva des Nordens zu rezitieren:
     
    Ach, möge Gott der Herr von unseren Tagen nehmen
    und damit deiner sel'gen Jahre Zahl vermehren
    der Welt zur Freude und zu ihrem Heil!
     
    Der lebhafte Applaus, der dem Vortrag folgte, zauberte ein Lächeln auf Elisabeths Lippen. Als er verebbt war, stimmte Graf Ra
sumowski mit dunkler, volltönender Stimme eine Ballade aus seiner ukrainischen Heimat an, ein wehmütiges Lied, das von Abschied und Trennungsschmerz erzählte.
    Die Kaiserin warf ihm ein Taschentuch zu. Er küsste es, bevor er es in seine Brusttasche steckte.
    Jetzt trat der Kanzler vor.
    »Eine Rede wäre diesem Anlass nicht angemessen«, sagte er, »darum will ich mich kurz fassen.«
    Das tat er auch. Russland stand im Begriff, Friedrich von Preußen eine Lektion zu erteilen, die er nicht vergessen würde. Die Truppen waren marschbereit. Überall strömten junge Bauernburschen singend und jubelnd zu den Rekrutierungsstellen, um sich ihrer ruhmreichen Kaiserin zur Verfügung zu stellen. Feldmarschall Apraxin wartete ungeduldig darauf, sich im Kampf für seine geliebte Souveränin und das Vaterland bewähren zu dürfen.
    Ich musste mir das Lachen verbeißen. Kurz und knapp, gewiss, aber jedes Wort wohlüberlegt.
    Der Großfürst hatte betreten zu Boden geblickt, als der so hoch verehrte König von Preußen erwähnt wurde. Iwan Schuwalow war zusammengezuckt, als er den Namen Apraxin hörte. Er hatte immer noch gehofft, die Kaiserin würde nicht ausgerechnet Bestuschews Protégé zum Oberkommandierenden der

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