Der Winterpalast
er mir, als er für eine hektische Woche nach Zarskoje Selo auf Urlaub kam.
Auch wir redeten jetzt andauernd über den Krieg.
Alles wurde teurer. Ein Pud Salz kostete fünfzig Kopeken statt zwanzig, der Preis von Wodka stieg auf das Doppelte. Der russische Staat brauchte Geld.
»Sie hätten die Steuern schon längst erhöhen müssen«, sagte Igor.
Nun, da der preußische König mit der Unterstützung der Briten rechnen konnte, würde er zum Angriff übergehen. »Russland hat nicht mehr viel Zeit zur Vorbereitung«, meinte er.
Mascha kümmerte sich darum, dass alles Nötige erledigt wurde. Die Paradeuniform des Herrn musste geflickt werden. Die Taschen waren schmutzig, denn er trug ständig Karotten und Zucker für die Pferde mit sich herum. Er brauchte frische Taschentü
cher. Er brauchte einen Vorrat jener Stiefelwichse, die Mascha aus Wachs, Talg und Teer selbst zusammenrührte – das Zeug, das den Soldaten von der Armee gestellt wurde, taugte nichts.
Unser Schlafzimmer roch nach Lederfett und Schnupftabak. Wenn ich frühmorgens von meinem Dienst im kaiserlichen Schlafzimmer heimkehrte, empfing mich das befriedigte Grunzen meines Ehemanns, der soeben die letzten der hundert Liegestütze abzählte, mit denen er seinen Tag begann. Im Zimmer nebenan, wo sein Offiziersbursche schlief, füllten sich seine Reisekisten. Nur die notwendigsten Dinge, die er immer bei sich führte, lagen säuberlich nebeneinander aufgereiht auf der Kommode: Kulturbeutel, Säbel, Pistolen, alles in Stoffsäckchen, die Mascha frisch gewaschen und gebügelt hatte, verpackt und verschnürt.
Untertags wich Darja nicht von seiner Seite. Sie trug die Puppe, die er ihr geschenkt hatte, immer bei sich. Nicht einmal, wenn Mascha sie badete, wollte sie sich davon trennen.
»Blumen haben Wurzeln, mit denen sie das Wasser in der Erde trinken. Vögel essen Samenkörner, Papa«, hörte ich sie sagen. Mit hartnäckigem Ernst redete sie auf Igor ein. Jeder Gedanke musste in Worte gefasst und mitgeteilt, jedes Geheimnis erforscht werden.
»Mascha sagt, die Schwäne verlieren jedes Frühjahr ihre Federn und können dann nicht fliegen. Stimmt das?«
»Ja.«
»Aber wieso suchen sie die Federn nicht einfach?«
»Das würde nichts nützen. Sie müssen warten.«
»Warum?«
»Es dauert eben seine Zeit, bis ihnen neue Federn wachsen.«
»Wie lange?«
Wenn sie mit Igor redete, gab es keine Scheu, kein Zögern. Entweder brüstete sie sich stolz mit dem, was sie gelernt hatte, oder sie stillte ihren Wissensdurst durch unablässiges Fragen. Erst wenn sie eine befriedigende Antwort erhalten hatte, gab sie Ruhe. Sie wollte verlässliche und präzise Tatsachen und freute sich, wenn alles schön stimmig zusammenpasste.
»Manchmal ist sie schon kein Kind mehr«, sagte Igor.
»Aber nur manchmal.« Ich musste lachen.
Die Abende in diesem August waren schon kühl. An dem Tag vor Igors Abreise saßen wir in der Dämmerung auf der Gartenbank. Darja, ihre Puppe neben sich, zeichnete etwas in das Skizzenbuch, das Igor ihr geschenkt hatte, ganz auf ihre Arbeit konzentriert, die Zungenspitze zwischen den Lippen. Es fiel ihr schwer, damit fertig zu werden, dass er uns verlassen musste; andauernd fragte sie, wann er wiederkäme. »Wie viele Wochen?«, fragte sie und streckte die Finger ihrer rechten Hand aus, die linke hinter dem Rücken versteckt.
Die Blätter der Birken verfärbten sich bereits. Bald würde die ganze Natur um uns herum in lauter Gold- und Bernsteintönen leuchten.
Ich redete darüber, dass ich bald einen Tanzmeister anstellen wollte, der unserer Tochter Tanzen und feines Benehmen beibringen sollte. Schon jetzt ließ ich Darja eine Stunde täglich in Schuhen mit hohen Absätzen gehen, ein Buch auf dem Kopf, damit sie lernte, sich schön gerade zu halten.
Die Gärtner hatten Zweige und dürres Laub verbrannt. Der beißende Geruch des Rauchs hing noch in der Luft.
»Das ist nicht richtig«, sagte Igor wie zu sich selbst. Offenbar hatte er mir gar nicht zugehört.
Ich verstummte.
Er starrte auf seine glänzend polierten Stiefel. »Das ist so ein schmutziges Geschäft«, murmelte er. »Der reinste Sklavenhandel.«
Seine Hand auf seinem Knie ballte sich zur Faust. Seine Kiefermuskeln waren angespannt.
Er hatte Deserteure gesehen, erzählte er. Mehr als er je für möglich gehalten hätte. Männer stachen sich ein Auge aus, zerquetschten sich die Zehen, hackten sich Finger ab, schlugen sich die Zähne aus, verstümmelten sich in jeder nur
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