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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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Armee ernennen.
    »Majestät, die ganze Nation ist bereit«, fuhr der Kanzler fort. »Wir warten nur auf Ihren Befehl.«
    Die Kaiserin schlug mit der flachen Hand auf die Armlehne ihres Stuhls. In ihren Augen glomm düsterer Spott.
    »Wenn Russland in den Krieg eintreten muss«, verkündete sie und ließ mit einer ausladenden Armbewegung die Diamanten auf ihrem purpurnen Ärmel aufblitzen, »dann werde ich selbst die Truppen führen.«
    Einen Moment lang herrschte verunsicherte Stille, aber dann setzten jene Bekundungen überschwänglicher Freude ein, die Elisabeth wünschte. Der Hof pries die Kaiserin in den höchsten Tö
nen. Sie würde auch als Heerführerin große Dinge vollbringen, die Welt würde staunen.
    Unser Mütterchen.
    Von allen geliebt.
    Milde und huldvoll.
    Ein Ausbund aller Tugend.
    Ich sah nicht, wie der Großfürst sich von seinem Platz erhob, erst seine Stimme machte mich auf ihn aufmerksam. Sie klang so schrill, dass es einem durch Mark und Bein ging. Peters Ignoranz, seine törichte Naivität, die Bestürzung in sämtlichen Gesichtern nicht wahrzunehmen, hatte etwas zutiefst Erschreckendes.
    »Wie kann Ihre Majestät auch nur einen Moment lang so etwas in Erwägung ziehen?«
    Die Kaiserin blickte auf. Sie wirkte verdutzt, als hätte ihr Neffe in einer fremden Sprache gesprochen, als bräuchte sie eine Weile, um sich darüber klar zu werden, was er meinte. Eine leichte Röte breitete sich in ihrem Dekolletee aus.
    »Mein Vater hat seine Truppen auch selbst kommandiert.« Sie kochte vor Zorn. »Glaubst du, ich kann nicht, was mein Vater konnte?«
    Ich sah, wie Peters narbiges Gesicht puterrot anlief. Er fuchtelte mit seinen schmalen Händen. Das ist die Verbitterung eines Prinzen, den nie jemand ernst genommen hat, dachte ich, die Enttäuschung eines Minderbemittelten.
    »Er war ein Mann, und Ihre Majestät ist eine Frau«, kreischte Peter.
    Bevor der Großfürst weitersprechen konnte, riss Iwan Schuwalow so heftig an seinem Ärmel, dass die Naht aufplatzte.
    Aber es war zu spät.
    Ich sah den Fußschemel kippen, sah Elisabeths Tritt, der ihn fortstieß. Ich sah den Kanzler auf die Kaiserin zustürzen, als könnte er mit seinen Händen ihren rasenden Zorn bändigen.
    Und dann ließ Katharinas Stimme alle innehalten.
    »Bitte, Hoheit! Versprechen Sie uns, dass Sie sich nicht solchen Gefahren aussetzen werden. Wir flehen Sie an: Haben Sie Erbarmen mit Ihren Kindern in dieser Zeit der Not.«
    Die Stimme war sanft und flehend, aber unwiderstehlich.
    Der Großfürst öffnete wieder den Mund, doch Katharina ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Wir sind nicht Ihre Soldaten«, fuhr sie fort und warf sich vor der Kaiserin auf die Knie, »aber wir brauchen Sie, damit Sie uns leiten. Gebieten Sie den Generälen, die Ihre Truppen kommandieren, aber bleiben Sie hier bei uns, ich bitte Sie inständig.«
    Die Kaiserin sank zurück in ihre Kissen. Zwei Tränen rollten aus ihren Augen. Sie ließ sie über ihre gepuderten Wangen rinnen.
    Der törichte Prinz in den russischen Märchen wird immer von einer klugen Prinzessin gerettet , dachte ich.
    »Genug, mein Kind«, sagte die Kaiserin. »Steh auf.«
    Ich stürzte vor, um der Großfürstin aufzuhelfen. Ich spürte, wie sie meine Hand drückte. Wenn sie geglaubt hatte, ihr Mann würde ihr danken, so hatte sie sich getäuscht. »Ich bin nicht wie Madame Neunmalklug«, sagte Peter zu mir, bevor er ging. »Madame Neunmalklug«, so nannten er und das Fräulein Katharina oft spöttisch. In seiner Stimme klang ein gefährliches Ressentiment.
     
    Es kam nur selten vor in diesem Sommer, dass Katharina und ich alleine miteinander sprechen konnten. Dann stellte sie mir Fragen nach der Gesundheit der Kaiserin. Hatte sie immer noch Herzflattern? Was hatte es mit diesem Fäulnisgeruch auf sich, den sie angeblich ausströmte? Stimmte es, dass sie unter Ohnmachtsanfällen litt? Und dass sie nicht mehr Treppen steigen konnte?
    »Sie hatte auch früher schon allerlei Leiden. Das hat nicht so viel zu bedeuten«, sagte ich. »Sie dürfen nicht alles glauben, was die Leute reden.«
    Katharinas Miene verdüsterte sich.
    »Es ist der Krieg, der ihr zu schaffen macht«, fuhr ich fort. »Sie hat Angst.«
    Es war der Gedanke an die göttliche Gerechtigkeit, der die Kaiserin in Furcht und Schrecken hielt, an jene Tarotkarte, die »Das Gericht« heißt. Das war es, was ihr den Schweiß auf die Stirn trieb und ihr dunkle Ringe unter die Augen zeichnete. In ihrer Vorstellung entschied Gott über

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