Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
Vom Netzwerk:
die Schicksale der Völker, indem er die Sünden ihrer Herrscher gegeneinander abwägte. Was würde schwerer ins Gewicht fallen – französische Trägheit, preußische Habsucht oder russischer Hochmut? »Habe ich nicht Gnade und Erbarmen geübt?«, hörte ich die Kaiserin murmeln, wenn sie vor der Ikone kniete.
    In einem der Briefe, die Katharina mir zu lesen gab, forderte Sir Charles sie auf, die Rolle einer bloßen Freundin Russlands aufzugeben und stattdessen die einer Thronerbin einzunehmen. Sie sind mächtiger, als Sie glauben , hatte er geschrieben. Sie können alles erreichen, wenn Sie nur wollen. Wenn ich nachts neben Darja lag, die allen kräutermedizinischen Künsten Maschas zum Trotz immer noch unruhig schlief und mit den Zähnen knirschte, gingen mir diese Worte oft im Kopf herum.
    In der Gästesuite in Zarskoje Selo – kärglich möbliert, um die Großfürstin daran zu erinnern, dass sie nur eine untergeordnete Stellung bei Hof einnahm – bedrängte mich Katharina wieder mit Fragen.
    »Findet sie überhaupt noch Schlaf, Warenka? Hat sie oft Schmerzen? Redet sie über mich?«
    Ich sah mich im Raum um: zwei vergoldete Stühle, ein Tischchen, ein Bett, eine Kommode. Ein Fenster ging zum Garten hinaus. Ein zur Jahreszeit sonderbar unpassender Duft nach Zimt und Nelken wehte herein – man hätte glauben können, es wäre Weihnachten.
    Katharina in ihrem leichten Sommerkleid stand am Fenster und spielte mit einer goldenen Quaste des Vorhangs.
    »Er fehlt ihnen«, sagte ich sanft. »Hat er nicht geschrieben?«
    Sie drehte den Kopf, und ich sah Tränen in ihren Augen blinken. »Ich möchte nicht über Stanislaw sprechen. Bitte, Warenka. Ich kann es nicht ertragen.«
    Also erzählte ich, was sich im kaiserlichen Schlafzimmer tat. Junge Burschen und Mädchen vom Land, die Volkslieder sangen, Banduraspieler, Kinder mit hellen, reinen Stimmen – »wie Engelchen«, sagte die Kaiserin gerührt. Die Ehrendamen, die sie eifrig mit Klatsch unterhielten bis zum Abendessen. Anschließend kam der kaiserliche Favorit, gut ausgeruht und schön geputzt wie einer der Palastkater.
    Katharina musste lächeln, als sie mir zuhörte.
    »Die Kaiserin kann es nicht ertragen, alleine zu sein«, sagte ich. »Darum braucht sie mich.«
     
    Nachts, als Iwan Schuwalow sich in seine Suite zurückgezogen hatte und der ganze Palast schlief, traf ich Elisabeth dabei an, wie sie die Gazette de Saint Pétersbourg durchblätterte und Karikaturen des preußischen Königs mit dem Vergrößerungsglas studierte. Friedrich II . auf einem Hocker sitzend, einen Sack zwischen den Knien, in den er mit der rechten Hand die Länder Schlesien, Böhmen und Sachsen stopfte, während er mit der linken heruntergefallene Krümel zusammenklaubte. Eine andere Zeichnung zeigte ihn in einem schäbigen Rock vor einem Guckloch, durch das er, geifernd vor Gier, in ein Zimmer blickte, in dem sich die nackte Schönheit Austria rekelte.
    »Was schreiben sie über ihn?«, fragte die Kaiserin und drückte mir die Zeitung in die Hand.
    Dieser Bandit und Räuber , las ich, treulos … hinterhältig … unersättlich … rühmt sich, dass er seine zweihunderttausend Mann starke Armee innerhalb von drei Wochen auf seine Feinde loslassen kann.
    Elisabeth biss nervös an ihren Fingernägeln, während ich vorlas. Unter den Spitzenbesätzen ihres Nachthemds zeigte sich blau-grün geäderte Haut, durchscheinend wie Pergament.
    Sodass Friedrich imstande ist, einen Nachbarn zu überfallen, mit dem er erst vor kurzem einen Beistandspakt geschlossen hat … Schwarze kämpfen an der Koromandelküste, und Rothäute skalpieren einander an den Großen Seen Nordamerikas.
    Interessante Kleinigkeiten sorgten für die nötige Würze: Die Offiziere der preußischen Armee essen aus Blechgeschirr. Silberne Löffel sind verboten.
    »Knickriger Pfennigfuchser«, murmelte Elisabeth. »Ein gewissenloser Straßenräuber.«
    Ihr Gesicht war von Hass verzerrt, einem Hass, dessen Glut nie erlosch. Sie konnte nie vergessen, dass der König sie einmal »eine ungebildete Hure« genannt hatte.
     
    Zum Missfallen der Schuwalows übertrug die Kaiserin Feldmarschall Apraxin den Oberbefehl über die russische Armee. Im Zug der Kriegsvorbereitungen ergaben sich in den Streitkräften viele Veränderungen. Meinem Mann wurde ein neues Aufgabengebiet zugewiesen: Er war nun für die Aushebung neuer Rekruten zuständig. Das bedeutete, dass er wohl nicht so bald an die Front geschickt werden würde, sagte

Weitere Kostenlose Bücher