Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
Vom Netzwerk:
für den Krieg. Sachsen war mit Österreich verbündet. Maria Theresia war eine Lügnerin und Heuchlerin, aber das änderte nichts daran, dass sie in diesem Fall schnöde hintergangen worden war. Der preußische Räuber wurde gar zu frech, das Maß war voll. Russland würde seinem Treiben nicht länger tatenlos zuschauen.
    Der Kanzler musste jetzt nicht mehr endlos im Vorzimmer warten, bis er eingelassen wurde. Ich hörte seine Stimme die Entschlossenheit der Kaiserin preisen. Feldmarschall Apraxin meldete, dass die Armee kampfbereit sei. Sobald der Winter vorbei war, konnte sie nach Westen marschieren. »Die ganze Welt wartet darauf, dass Ihre Majestät den Befehl gibt.«
    Katharina wurde ungeduldig. Stanislaw war immer noch nicht zum polnischen Gesandten ernannt worden, und jetzt, nachdem die preußische Armee Sachsen besetzt hatte, war damit zu rechnen, dass sich die Sache noch weiter verzögern würde.
    »Ich verlange doch wirklich nichts Großes von Ihnen«, hatte sie zum Kanzler gesagt. »Was habe ich von Ihrer Freundschaft, wenn Sie nicht einmal das zustande bringen? Vielleicht sollte ich doch lieber Iwan Schuwalows Angebot annehmen?«
    Schuwalow hatte ihr überhaupt nichts Konkretes angeboten, sondern nur vage Andeutungen fallen lassen, aber Sir Charles' ermutigender Zuspruch hatte Katharina kühn gemacht. Sie hatte mir Briefe von ihm gezeigt, in dem sie ganze Sätze dick unterstrichen hatte: Erheben Sie Anspruch auf den Thron Russlands, und
machen Sie Stanislaw zum König von Polen. Sie dürfen Ihr Licht nicht unter den Scheffel stellen!
    Ich hoffte nur inständig, dass Sir Charles keine Abschriften dieser Briefe aufbewahrte und dass Monsieur Bernardi schlau genug war, sich nicht erwischen zu lassen. Es beruhigte mich angesichts der klaren Worte in den Briefen nicht im Geringsten, dass Sir Charles in seinen Schreiben die Großfürstin nicht bei ihrem Namen nannte, sondern mit »Monsieur« ansprach. Ich nahm mir vor, ihn bei nächster Gelegenheit zu mehr Vorsicht zu mahnen.
    »Verbrennen Sie diese Briefe, ich bitte Sie«, sagte ich zu Katharina. Das Schloss ihrer Schreibtischlade war ganz leicht mit einer Haarnadel zu öffnen. Und dann musste man nur noch auf eine der geschnitzten Säulen drücken, damit das Geheimfach aufsprang.
    Katharina ignorierte meine Bitte. »Sir Charles ist sich ziemlich sicher, dass die Kaiserin nicht mehr lang zu leben hat. Was meinst du, Warenka?«
    Ich zuckte die Achseln. »Ich bin kein Prophet. Was ich weiß, ist nur, dass sie selbst damit rechnet, an Weihnachten noch am Leben zu sein. Sie hat zum Fest ein cremefarbenes Satinkleid mit Hermelinbesatz bestellt.«
     
    Im November konnte der Kanzler der Großfürstin endlich gute Nachricht bringen.
    Der König von Sachsen und Polen hatte Graf Poniatowski zu seinem außerordentlichen Botschafter am russischen Hof ernannt. Stanislaw machte sich Anfang Dezember auf die Reise nach Sankt Petersburg und kündigte brieflich an, er werde noch vor Weihnachten dort eintreffen. Aber Weihnachten kam, und Stanislaw war immer noch nicht da.
    Katharina bemühte sich nach Kräften, die Ruhe zu bewahren. Der Winter war hart, es war ganz normal, dass es zu Verzögerungen kam.
    Jeden Tag schickte ich einen Diener zur sächsischen Botschaft und erhielt immer nur den Bescheid, dass Graf Poniatowski un
terwegs sei. Dann, am 28. Dezember um die Mittagszeit, traf er ein. 
    Der Knall der Mittagskanone verhallte gerade, als ich in Katharinas Zimmer stürzte. Es war ein sehr kalter, aber sonniger Tag. Die sächsische Botschaft war mit dem Schlitten in wenigen Minuten zu erreichen.
    Katharina drückte mir einen versiegelten Brief in die Hand. »Bring ihm das hier. Sag ihm, ich komme, sobald ich kann.«
     
    Ein Lakai führte mich ins Empfangszimmer, das von einem blauen Kachelofen und einem offenen Kamin beheizt wurde. An der Wand hing ein Porträt von August III ., von Gottes Gnaden König von Polen und Kurfürst von Sachsen. Er war ein Mann von massiger Statur mit roten Pausbacken und trug einen weiten blauen Rock, der mit Gold bestickt war. Arrogant blickte er auf mich herab. Ich musste an die »Sitzjagden« denken, von denen Sir Charles berichtet hatte. Ich stellte mir vor, wie Wölfe und Bären aus einem Verschlag direkt vor die Flinte dieses Mannes getrieben wurden. »Sachsen muss sich damit abfinden, dass immer einer aus seiner Familie das Land regiert«, hatte Sir Charles einmal bemerkt. »Die Polen haben es besser – die können ihre Könige frei

Weitere Kostenlose Bücher