Der Winterpalast
Stanislaw oft zusammen mit anderen Diplomaten im Vorzimmer des Audienzsaals stehen.
Elisabeth ließ ihn nie lange warten. Die erste Rede, die er als Botschafter seines Königs gehalten hatte, war ganz nach ihrem Geschmack gewesen. Die Annexion Sachsens sei nicht nur ein empörender Akt der Barbarei, sagte er, sondern zugleich ein richtungweisendes Zeichen. Friedrich von Preußen sei eine Hydra mit vielen Köpfen. Wenn man nur einen davon abschlage, wüchsen sogleich zwei neue nach. Darum dürfe man kein Erbarmen mit Preußen haben.
Das gefiel der Kaiserin.
Sie war nicht die Einzige. Er habe angenehm flüssig und voller Leidenschaft gesprochen, hörte ich. Laut genug, sodass jeder ihn verstehen konnte, und doch so ruhig und überlegt, dass niemand seine Worte als bloße Tirade eines zornigen jungen Mannes abtun konnte.
Sobald sich die Gelegenheit bot, gratulierte ich ihm zu seinem Erfolg. »Die Kaiserin war sehr beeindruckt.«
»Die Kaiserin ist sehr freundlich«, antwortete er. »Ich sehe mich am Hof um und lerne. Jeden Tag eine neue Lektion.«
Lektionen für einen Musterschüler, dachte ich. Sir Charles hatte ihn beschworen, ihn auf gar keinen Fall zu besuchen. Seit die preußische Armee in Sachsen eingefallen war, wurde die britische Botschaft genauestens überwacht. Die Dienstboten waren alle russische Spione. Es tut mir im Herzen weh, Monsieur, dass ich mich von Ihnen beiden fernhalten muss, aber ich hoffe, es wird nicht mehr lange dauern , hatte Sir Charles der Großfürstin geschrieben. Eines Tages werden Kaiserin Katharina von Russland und König Stanislaw von Polen gemeinsam herrschen, und ich werde beiden meinen Rat und meine Freundschaft anbieten können.
Aber damit dies geschehen kann, muss ich von anderen Verpflichtungen frei sein. Darum habe ich um meine Entlassung aus dem diplomatischen Dienst ersucht und erwarte ein Schreiben aus London, das mich von meinen Amtspflichten entbindet.
Stanislaw nannte Sir Charles La Sagesse – Weisheit – und einen wahren Freund. Katharina sagte, sie würde ihn immer um Rat bitten wie das Orakel von Delphi.
Und ich?
Ich dachte an die Macht der Worte, die man im Geist wiederholt und hin und her wendet. Daran, wie sie immer stärker wird und Möglichkeiten in Wünsche und Ziele verwandelt. Eine Philosophin als Kaiserin. Ein Philosoph als König. Dass Weisheit an die Stelle von Eitelkeit tritt, harte Arbeit an die Stelle von Müßiggang.
Eine bessere Welt. Eine gerechtere Welt.
Was könnte meiner Mühe mehr wert sein?
Ende Februar wurde Katharina wieder schwanger. Wenn sie bei Hof auftrat, zeigte sich die Kaiserin rührend besorgt um sie. Sie ließ Kissen holen und ihr unter die Füße schieben. Die Kaiserin ermahnte die Großfürstin, sich vor Zugluft zu hüten, und empfahl ihr Fußmassagen. Das Blut musste frei zirkulieren können. Der Körper musste Kraftreserven anlegen. Täglich trafen Körbe voller ausgesuchter Leckereien aus der Palastküche ein, Mandelcreme mit Ananas, entbeinte Wachteln, Silberterrinen mit nahrhaften, sahnigen Suppen. Sie schimpfte nicht mehr über neue Schulden oder darüber, dass Peter zu viel trank, sondern rühmte weithin hörbar das kräftige Blut der Romanows.
Die vitale Urkraft dieses Herrschergeschlechts ließ sich nicht lange unterdrücken, sagten die Höflinge.
Ich sah, wie die Kaiserin ihre Hand auf den Bauch der Großfürstin legte und lächelte, als fühlte sie das Kind bereits strampeln. Furcht und üble Laune wichen von ihr, das keimende junge Leben
drängte den Tod zurück ins Dunkel. Elisabeth fragte niemals, wer für Katharinas »gesegneten Zustand« verantwortlich war. Der Schein musste gewahrt werden. Die »Mondkinder« teilten das eheliche Bett, also war zumindest die Möglichkeit, dass Peter der Vater des Kindes war, nicht auszuschließen, und das genügte bereits.
Der außerordentliche Gesandte des sächsischen Königs von Polen war bei allen Pflichtveranstaltungen für das diplomatische Corps zugegen und nutzte jede Gelegenheit, die Kaiserin auf die Leiden Sachsens aufmerksam zu machen: Dresden durch Geschützfeuer zerstört, von den Preußen aus Gefängnissen befreite Verbrecher legten überall Brände, Friedrich hatte falsche polnische Münzen prägen lassen, um damit Proviant für seine Truppen zu bezahlen.
Die Kaiserin lobte Graf Poniatowskis feines Benehmen, seinen jugendlichen Charme, seine untadelig elegante Erscheinung. Wenn Parteigänger der Schuwalows auf seine Leidenschaft für Katharina
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