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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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jetzt, dass ich keine Angst habe?«
    Nur der Großfürst Peter hielt sich zurück. Hölzern und schweigsam stand er da und fingerte nervös an seiner Manschette. In den Kneipen von Sankt Petersburg verhöhnten seine Holsteiner die russische Armee. Eine Armee von leibeigenen Bauern, die allesamt Feiglinge waren und mit der Knute in die Schlacht getrieben werden mussten. Die Garden wiederum schimpften über die Holsteiner und machten sich über ihre Dreispitze lustig. Und ihr Kommandeur, der Kronprinz, sagten sie, wollte gerne wie Friedrich von Preußen sein, aber er ähnelte ihm nur so wie ein Orang-Utan einem Menschen.
    »Wieso schaust du so mürrisch drein, Peter?«, fragte die Kaiserin. »Kannst du nicht wenigstens so tun, als wäre dir meine Gesellschaft angenehm?«
    Er wusste nie etwas Rechtes zu antworten. Seine Beteuerungen klangen lustlos und blutleer, er machte es ihr leicht, weiter auf ihn einzuhacken.
    »Ich kann … ich meine, ich tue nicht so …«
    »Was hampelst du so nervös herum? Stell dich gerade hin. Und grinse mich nicht so blöde an.«
    Wenn Graf Panin, der Erzieher des Großfürsten Paul, seinen Zögling zur Kaiserin brachte, wurde ihre Stimme überschwänglich süß. Sie hatte immer eine kleine Überraschung für das Kind , einen sibirischen Apfel, ein Spielzeug, ein Vögelchen an einer Schnur. Sie ließ ihn aufsagen, was er gelernt hatte, sah sich seine Zeichnungen an. Manchmal sagte sie zu ihm, er solle sich eine Weile still beschäftigen, sie habe etwas mit Graf Panin zu besprechen.
    Ich hörte nicht, was sie redeten. Der Raum war riesig, und sie unterhielten sich leise. Es ging das Gerücht, die Kaiserin habe ihr Testament geändert und Paul zu ihrem Nachfolger bestimmt. Einige meinten, sie habe verfügt, dass Peter für seinen unmündigen Sohn die Regentschaft übernahm, andere behaupteten, Katharina sollte Regentin werden.
    Niemand wagte es, die Kaiserin zu fragen. Niemand wagte es, vom Tod zu sprechen.
    Ich selbst glaubte diesem Gerücht nicht. Elisabeths Blick war zögernd, unentschlossen. Ein Kind musste erst einmal erwachsen werden. Der letzte Zar, der schon im zarten Kindesalter zum Herrscher aller Russen erhoben worden war, saß jetzt in der Festung Schlüsselburg in Haft. Er war ihr ein warnendes Beispiel.
    Ihr Kalkül war recht simpel. Ihren Neffen Peter hielt sie für einen ausgemachten Trottel, der zu nichts zu gebrauchen war. Paul liebte sie von ganzem Herzen. Für die Großfürstin hatte sie nicht viel übrig, aber sie wusste, dass Paul Katharina brauchte.
    Nur deswegen hielt sie ihre schützende Hand über Katharina.
     
    »Du musst mir helfen, Warenka«, sagte Katharina im Herbst 1761 zu mir. Sie legte ihre Hand auf ihren Bauch. »Ich brauche dich so dringend wie nie zuvor.«
    Sie war von Grigori Orlow schwanger.
    Seit einem Monat war ihre Blutung überfällig. Morgens nach dem Aufwachen war ihr übel – genauso wie bei ihren früheren Schwangerschaften. Aber dieses Mal würde Peter nicht glauben, dass das Kind von ihm war. Schon seit mehr als drei Jahren hatte der Großfürst das Schlafzimmer seiner Frau nicht mehr betreten.
    Katharina musste mir nicht im Einzelnen erklären, wie gefährlich ihre Lage war. Sie hatte bereits eines der Mädchen dabei ertappt, wie es ihre Bettwäsche untersuchte. Kein Spitzel der Schuwalows durfte hinter ihr Geheimnis kommen und dem Großfürsten einen Grund liefern, sie zu verstoßen.
    Ich verfluchte im Stillen Grigori Orlows Sorglosigkeit, seine unbeschwerte Überzeugung, seine Katharina, seine Katinka werde immer einen Ausweg aus Schwierigkeiten aller Art finden, aber ich ließ mir nichts davon anmerken. Es war klar, dass keine Palastrevolution stattfinden konnte, bis Katharinas Kind auf der Welt war. Wieder einmal hing alles davon ab, dass ein Geheimnis gewahrt blieb.
    Ich strich Katharina übers schwarze Haar, ich wischte ihr die Tränen ab, ich versprach ihr, sie zu beschützen. Und ich hielt Wort.
    Jeden Monat sorgte ich dafür, dass die Spitzel der Schuwalows blutige Mulltücher in Katharinas Schmutzwäsche finden konnten. Ich kümmerte mich gemeinsam mit zwei vertrauenswürdigen Zofen darum, dass alle Spuren ihrer morgendlichen Übelkeit verschwanden, half ihr, ihren Bauch unter bauschigen Röcken zu verstecken, schmuggelte nachts saure Gurken und Schwarzbrot in ihr Schlafzimmer und drapierte ihren Morgenmantel so, dass er ihre schwellenden Formen verbarg.
    Ich stellte eine Vase mit frischen Blumen aus den Gewächshäusern von

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