Der Winterpalast
von dem Plan, Peter zu entmachten, erzählt? Hatte sie erfahren, dass Katharina schwanger war?
»Bring mir die Ikone, Warwara.«
Ich reichte ihr die heilige Ikone Unserer Lieben Frau von Kasan. »Schwör mir beim Leben deiner Tochter, dass du alles tun wirst, damit ihm nichts Böses zustößt?« Ihre glanzlosen blauen Augen flehten.
Ich küsste die Ikone und versprach, den Großfürsten Paul zu beschützen.
Erschöpft schloss sie die Augen. Als sie wieder die Hand ausstreckte, fühlte ich ihre geschwollenen heißen Finger über meine Wange streichen, wie eine Liebkosung von jenseits des Grabes.
»Sag der Großfürstin, sie kann jetzt zu mir kommen«, murmelte sie.
Niemand durfte im Schlafzimmer bleiben, als Katharina da war. Bevor die großen vergoldeten Türen, über denen der doppelköpfige russische Adler thronte, sich hinter mir schlossen, erhaschte ich noch einen Blick auf Katharina, die sich tief verbeugte, und auf Elisabeths wie zum Segen erhobene Hand.
Als dann die Großfürstin eine Stunde später die Tür wieder öffnete, waren ihre Augen rotgeweint.
Ich fragte mich, ob auch sie geschworen hatte, Paul zu beschützen.
Von diesem Tag an verließ Katharina das kaiserliche Schlafzimmer nicht mehr, nicht einmal für einen Augenblick. »Mein Platz ist an der Seite Ihrer Majestät«, sagte sie, wenn ich sie drängte, sich auszuruhen. Manchmal konnte ich sie dazu überreden, auf der Chaiselongue eine Weile zu dösen, aber sie ging nicht in ihre Wohnung im provisorischen Palast. Als der Priester kam, um die Gebete zu sprechen, kniete sie mit uns auf dem Fußboden vor dem Bett der Kaiserin.
Der Großfürst erschien jeden Morgen, hörte sich an, was der Arzt zu berichten hatte, und verschwand dann wieder.
Aus den Vorzimmern drangen laute Stimmen. Die Schuwalows hatten sich dort breitgemacht und empfingen Bittsteller, die sich um die Positionen bewarben, die bald neu besetzt werden würden. Ihr Feilschen übertönte die Gebete, die im Schlafzimmer gesprochen wurden. Manchmal hörten wir jemanden nach Essen rufen, Gläser klirrten, ein Hund, den jemand getreten hatte, jaulte.
Ein schmaler Grat , dachte ich, trennt einen Kaiser von einem Trottel.
Als das Ende dann kam, schwamm alles in Blut.
Zuerst floss ein dicker Blutstrom aus der Nase der Kaiserin, der nicht versiegen wollte. Der Ehrwürdige Vater Theodorski stimmte ein Gebet an. Er bat Gott, er möge sich seiner Tochter erbarmen und sie von ihren Schmerzen erlösen. Dann bekam die Todkranke einen Erstickungsanfall, rang verzweifelt nach Luft und hustete Blut – ihr Gesicht, das Nachthemd, das Bett, alles war mit Blut besudelt und bespritzt.
Katharina zuckte nicht zurück. Ihre Hände und ihr Kleid waren blutig, aber sie bewahrte die Fassung, befahl, Kerzen zu bringen, Wasser, Lappen. Sie bat den Arzt, der Kaiserin Laudanum einzuflößen. Ich beobachtete sie und wartete auf Anzeichen von Schwäche, aber sie hielt durch.
Eine Stunde verging, und Elisabeth kämpfte immer noch. Sie
riss die Tamponade aus ihrer Nase, warf die Schüssel um, die vor ihr stand, sodass sich Blut und Galle auf den Teppich ergossen.
Sterben ist nicht leicht, dachte ich. Die mächtige Herrscherin aller Russen fasste mit rastlosen Händen nach allem, was sie erreichen konnte, dem Arm des Arztes, dem Handtuch, den Bettüberzügen. Sie wurde schwächer, sank zurück in die Kissen, starrte uns an wie Fremde, ein bleiches, fleckiges Gesicht mit verängstigten Augen.
Dann, nach letzten hektischen Anstrengungen, ihr Erleichterung zu verschaffen, wurde es still im Raum. Jemand lief hinaus, um den Kronprinzen Paul zu holen. Ich trat ans Fenster, um ein bisschen frische Luft hereinzulassen. Ich wollte es eigentlich nur einen Spalt weit öffnen, aber ein heftiger Windstoß, auf den ich nicht gefasst war, drückte es ganz auf. Ein eisiger Luftzug fuhr durch den Raum.
»Machen Sie das Fenster zu!«, hörte ich Peters schrille Stimme schreien. »Soll ich mir hier den Tod holen?«
Er rieb sich die Hände wie ein Kaufmann in Erwartung eines besonders profitablen Geschäfts.
Ich schloss das Fenster und zog den Vorhang zu.
Peter beugte sich über das Bett. Die Muskeln in seinem pockennarbigen Gesicht zuckten. »Ist sie wirklich tot?«, fragte er. Er kicherte nervös, als alle im Raum, Katharina eingeschlossen, vor ihm auf die Knie sanken. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie eine der Katzen einen Buckel machte und sich an seinem Bein rieb.
Um vier Uhr am Weihnachtstag 1761 öffnete
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