Der Winterpalast
beobachtete ich die beiden. Ich sah Grigori Orlows riesige Gestalt vor Katharina knien. Er fasste ihre Hand. Dann stand er auf, beugte sich vor, während sie sprach, und redete dann wieder auf sie ein.
Ich verstand nur vereinzelte Satzfetzen: … Ihr Mann … unwürdig … Wenn Sie es nicht tun, werden wir …
Ich schaute umher, aber ich sah nur einen Vogel, der in eine Hecke schlüpfte, einen Wurm im Schnabel. Ich pflückte ein Blatt von der Hecke und zerriss es in winzig kleine Stücke. Es hinterließ einen herben Geruch auf meinen Fingerspitzen.
Als ich mich auf Katharinas Rufen wieder zu ihr umwandte, war Grigori nicht mehr da. Dort, wo er gekniet hatte, sah ich eine Mulde im Kies des Weges.
»Falls jemand fragen sollte:«, sagte Katharina. »Ein Held der Schlacht von Zorndorf wollte seine Hochachtung zum Ausdruck bringen.«
Es wurde gemunkelt und spekuliert, immer offener, immer lauter. Wen würde Elisabeth zu ihrem Nachfolger bestimmen – Peter oder seinen Sohn Paul? Würde Katharina zusammen mit Peter regieren? Oder würde die Kaiserin ihr die Regentschaft für ihren Sohn übertragen?
Während die russische Kaiserin dahinsiechte, schlossen die Schuwalows und die Woronzows ihre Reihen und stellten sich hinter Peter. Bei öffentlichen Auftritten des Großfürsten nahm jetzt öfter das Fräulein den Platz an seiner Seite ein, der seiner Ehefrau gebührte. Katharina ignorierte diese Kränkungen bis zu dem Tag, da eine vielbeachtete Premiere im Russischen Theater stattfinden
sollte und Peter ihr eröffnete, dass in seiner Kutsche kein Platz für sie sei. »Sie können sich das Stück ja morgen ansehen«, sagte er. Erst als sie damit drohte, zu Fuß zum Theater zu gehen, lenkte er schließlich ein.
Die kaiserlichen Ehrendamen machten aus ihrem Hass gegen mich keinen Hehl. Als ich einmal auf Wunsch der Kaiserin Darja ins Krankenzimmer mitbrachte, hörte ich Gräfin Schuwalowa murmeln: »Diese intrigante Buchbinderstochter und ihr kleiner Fratz!«
Mit einer herrischen Bewegung ihrer mit Diamanten geschmückten Hand scheuchte sie meine Tochter aus dem Weg und rauschte an uns vorbei.
»Wieso ist sie böse auf mich, Mama?«, flüsterte Darja mir zu.
»Ich erkläre es dir, wenn du größer bist.«
»Warum nicht jetzt?« Ich spürte, wie der Druck ihrer Finger fester wurde.
Ich sagte ihr, dass sie es jetzt noch nicht verstehen würde, aber ich wusste natürlich, dass sie das nicht überzeugen konnte.
Ein Spion, der sein Handwerk versteht, wird erst recht aufmerksam, wenn eine Person sich betont gleichgültig gibt, wenn sie in Gesprächen über Belanglosigkeiten einen Moment lang nachdenklich stutzt, wo man eine ganz einfache Antwort erwartet. Ich bemerkte die Zeichen wohl: das winzig kleine Zögern in Katharinas Stimme, wenn sie Grigori Orlows Namen aussprach, wie sie aus dem Fenster sah und beiläufig jemandem zuwinkte, um zugleich mit einer spielerischen Handbewegung ein Lächeln zu verdecken.
Ich warnte die Großfürstin: »Er ist ein tapferer Soldat und ein wahrer Freund. Aber anders als sein jüngerer Bruder auch leichtsinnig.« Ich erwähnte die Geliebte, die er verlassen hatte, seine Spielschulden, die Alexej hatte bezahlen müssen.
»Wir haben alle schon einmal Dummheiten gemacht«, antwortete Katharina lächelnd.
Es wurde viel über Grigori geredet. Er hatte beim Pharo tausend Rubel gewonnen und sie an einem einzigen Abend verschleudert, indem er jeden freihielt, der bereit war, auf das Wohl der Großfürstin zu trinken. Sie sei von lauter Lumpen und elenden Halunken umgeben, hatte er getönt, Milchgesichtern, halben Portionen, die umfielen, wenn man sie mit dem kleinen Finger anstieß, die vor Angst zitterten, wenn er nur mit dem Fuß aufstampfte.
»Warum hat Onkel Grigori es immer so eilig, wenn er uns besuchen kommt?«, fragte mich Darja. »Andauernd schaut er auf die Uhr.«
Manche Gesichter muss man nicht lange studieren , dachte ich. Grigoris Züge sprachen offen aus, mit was für einem Charakter man es zu tun hatte. In einfachen knappen Sätzen machten sie seine unumstößlichen Prinzipien klar: Zuerst handeln, dann denken. Stärke erzwingt Unterwerfung und sichert Macht. Lust will befriedigt werden.
»Einer der Brüder Orlow?« Fürstin Daschkowa verzog das Gesicht. »Was diese vulgären Flegel sich herausnehmen!«
Ich sah Katharina nicken.
Fürstin Daschkowa hatte offen für Katharina Partei ergriffen. »Sie sind schon jetzt meine Kaiserin«, hatte sie erklärt.
Aber
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