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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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Oranienbaum neben Katharinas Bett, damit ihr Duft den Geruch von Schwefel überdeckte, von dem ihr immer übel wurde – wir hatten mehrmals im Zimmer räuchern müssen, bis endlich die Bettvorhänge frei von Wanzen waren.
    Von November an machte Katharina täglich am Morgen Spaziergänge an der Newa, um ihre Nerven und ihre ganze Konstitution zu stärken, aber auch, um für eine Weile vor neugierigen Blicken sicher zu sein. Sie freute sich auf den Winter, der es ihr ermöglichen würde, sich mit losen Wollschals und pelzgefütterten Umhängen zu umhüllen, die ihre Figur tarnten. Wenn ihre geliebten Schneeglöckchen wieder am Ufer der Newa blühen, ist alles überstanden , dachte ich.
    Wenn wir allein waren, berichtete ich ihr von den Aderlässen der Kaiserin, von ihren Ohnmachtsanfällen, von ihren nächtlichen Panikattacken. Von dem Tag, an dem sie gefragt hatte: »Hat man die Stoppelfelder schon abgebrannt, Warwara, ist die Ernte vorbei?«
    »Ja, Hoheit«, sagte ich, aber meine Antwort befriedigte sie nicht. »Was sind das dann für Feuer?«, wollte sie wissen.
    Ich beugte mich zum Fenster hinaus, sah aber nichts als die grauen Wasser der Newa.
    »Die Gärtner, Hoheit«, log ich, »sie verbrennen dürres Laub.«
    Sie sah mich an, als ergäben meine Worte keinen Sinn.
    »Womit habe ich Gott missfallen, Warwara?«, fragte sie.
    Ich zögerte.
    Wenn sie noch einmal fragt , dachte ich, w ill sie es wirklich wissen. Aber sie tat es nicht.
     
    Fürstin Daschkowa nutzte jede Gelegenheit, mit Feuereifer für ihre große Idee zu werben: Ein neues Russland musste geschaffen werden, eines, in dem nicht mehr die Knute oder gar wie in Preußen der Henker regierte. Sie war neunzehn Jahre alt und glaubte sich dazu berufen, Russland von allen Übeln zu erlösen, indem sie die Großfürstin und ihr Volk in eine glorreiche Revolution führte. »Sie brauchen es nur zu befehlen, und wir werden Sie auf den Thron erheben«, hörte ich sie zur Großfürstin sagen. Sie konnte gar nicht begreifen, warum Katharina, ihre »beste Freundin«, die ihr rückhaltlos vertraute, wie sie glaubte, sie bat, sich zu gedulden.
    Eine wahrhaft königliche Kunst , dachte ich voller Bewunderung: Die Leute glauben machen, man teile seine Geheimnisse mit ihnen, und doch in Wahrheit keines preiszugeben.
    »Dieser Ochse«, sagte Katharina jedes Mal laut, wenn Grigori Orlows Name erwähnt wurde. Sie strich über die Falten ihres Kleids. Ihr Bauch ließ sich immer noch verbergen, aber bald würde das nicht mehr möglich sein.
    Die Kaiserin konnte mittlerweile kaum noch wenige Schritte weit gehen und nur, wenn sie sich auf einen Stock stützte. Immer öfter sah sie mich in den Nächten, wenn ich bei ihr wachte, mit diesem suchenden verstörten Blick eines Menschen an, dessen Gedanken in die andere Welt abirren, aber immer noch fragte sie nach Katharina.
    »Schreibt ihr Graf Poniatowski noch? Antwortet sie ihm?«
    »Ja, er schreibt ihr, und die Großfürstin antwortet ihm, aber nicht sofort. Sie lässt ihn auf ihre Briefe warten.«
    »Spricht sie in ihren Briefen über mich?«
    »Nein, Hoheit. Sie sagt ihm, er muss Geduld haben. Er schreibt immer wieder, dass er zu ihr kommen will, und sie versucht es ihm auszureden.«
    »Man hat mir gesagt, sie hat einen neuen Liebhaber. Stimmt das?«
    »Ja, Hoheit, Leutnant Orlow. Bevor er zu ihr geht, isst er immer Ananas und Petersilie, damit sein Samen angenehm riecht.«
    »Weiß Graf Poniatowski Bescheid?«
    »Nein, Hoheit. Sie hat Angst, dass er herkommt, wenn er es erfährt. Aber sie will nicht, dass er nicht mehr schreibt. Orlow soll sich nicht zu sicher fühlen.«
     
    Jeden Morgen schickte Katharina eine ihrer Kammerjungfern zum Winterpalast, um zu erfahren, wie es der Kaiserin ging, und um ihre dringende Bitte zu übermitteln, der Kranken beistehen zu dürfen. Jeden Morgen dankte man ihr für ihre fürsorgliche Anteilnahme, indes könne die Kaiserin sie heute nicht empfangen und bitte sie, sich zu gedulden.
    Anfang Dezember verkündete Monsieur Rastrelli, dass die Räume im Winterpalast, in denen der großfürstliche Hof residieren sollte, fertiggestellt waren. Der Großfürst hatte bereits den Termin seines Umzugs bestimmt, seine Frau dagegen zögerte noch. Sie habe schreckliche Rückenschmerzen, behauptete sie, und das Treppensteigen falle ihr schwer; darum sei sie derzeit im ebenerdigen provisorischen Palast besser aufgehoben.
    Das Fräulein ließ es zunehmend an Respekt vor der Großfürstin fehlen: Wenn sie ihr

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