Der Winterpalast
vielleicht bald nur noch die Erinnerung an mich blieb.
Und dann, an dem Abend bevor der Hof nach Oranienbaum reiste, ereignete sich ein sehr unangenehmer Vorfall.
Beim festlichen Bankett brachte Peter einen Toast auf die kaiserliche Familie aus. Alle Anwesenden standen auf und erhoben unter Hochrufen ihre Gläser, nur Katharina nicht.
Peter starrte seine Frau an. »Auf die Gesundheit der kaiserlichen Familie«, sagte er noch einmal.
Gäste und Höflinge erstarrten. Sie wussten nicht recht, was da eigentlich vorging. Wollte der Kaiser, dass Katharina aufstand, obwohl er selbst saß? Tranken sie etwa nicht auf ihre Gesundheit ebenso wie auf seine? Wollte der Kaiser Katharina zu verstehen geben, dass sie nicht zur kaiserlichen Familie gehörte?
Ein langes ungemütliches Schweigen trat ein.
»Auf die Gesundheit der kaiserlichen Familie«, sagte Peter zum dritten Mal und führte endlich sein Glas an den Mund. Alle tranken erleichtert.
Das Bankett nahm seinen Fortgang, doch während Geschirr klapperte, Butter und Soße auf Servietten tropften und fettige Münder gierig aufgerissen wurden, wandte sich das Fräulein dem Kaiser zu. Sie schüttelte den Kopf und streichelte seinen Arm. Er beugte sich zu ihr hinüber.
Wenig später trat einer der Generäle zu Katharina. So laut, dass es jeder hören konnte, sagte er: »Seine Majestät möchte gerne wissen, warum Ihre Hoheit sich nicht von Ihrem Platz erhoben haben.«
»Besteht denn die kaiserliche Familie nicht aus Ihrer Majestät, mir und unserem Sohn?« Katharina war blass geworden, aber ihre Stimme klang fest und selbstsicher. Es wurde ganz still im Saal.
»Dura!« , kreischte der Kaiser.
Dummkopf. Der Kaiser hatte seine Frau Dummkopf genannt.
Ich erfuhr das alles einige Stunden später von Alexej Orlow, der mich bat, zur Großfürstin zu gehen und sie zu beruhigen. Ich fand sie in Tränen aufgelöst. »Das wird er mir büßen, das schwöre ich«, schrie Grigori Orlow außer sich vor Wut. »Ich lasse es nicht zu, dass er dich so demütigt.«
Katharina schluchzte, an Grigoris breite Schulter geschmiegt. Sie trug noch das Trauerkleid, das sie beim Bankett angehabt hatte. Die milchweiße Haut ihrer Schultern schimmerte durch die schwarze Spitze.
»Dieser Feigling, dieses Milchgesicht!« Seine Stimme hallte von den kahlen Wänden wider. »Er wird dich um Verzeihung bitten. Um Gnade wird er flehen. Du wirst es sehen, Katinka, du wirst schon sehen.«
Ich redete ihr zu. »Ihre Freunde stehen zu Ihnen«, sagte ich. »Wir halten die Augen offen. Wir vergessen nichts.«
Aber sie wollte sich nicht trösten lassen.
»Du fährst nach Peterhof, Katinka, und wartest, bis wir so weit sind. Ich werde dich jede Woche besuchen und dir berichten.«
Grigoris große Hand streichelte ihren Rücken, fuhr über den glänzenden Taft des Trauerkleids und verweilte am unteren Rand ihres Korsetts. »Ende August, wenn er nach Sankt Petersburg zurückkommt, verhaften wir ihn und führen ihn dir in Ketten vor.«
Als sie immer noch nicht aufschaute, betete ich, dass es nicht so lange dauern würde.
Am Morgen des 28. Juni, des Tages vor dem Namenstag des Zaren und seines Sohnes, stürzte Alexej Orlow in mein Wohnzimmer mit der Nachricht, dass Leutnant Passek verhaftet worden war.
Der Kaiser befand sich mit dem Fräulein und dem Großfürsten in Oranienbaum. Katharina wohnte in Monplaisir in den Gärten von Peterhof, wo am folgenden Tag das große Fest stattfinden sollte.
In seinen abgewetzten Reithosen und dem engen Rock wirkte Alexej wie ein ganz gewöhnlicher Veteran des preußischen Kriegs, der nun nicht recht weiß, was er mit sich anfangen soll. Sein Atem roch nach Wodka.
»Wir haben keine Zeit zu verlieren, Warwara Nikolajewna«, sagte er. Passek wusste, wo die Flugblätter, in denen Katharina sich zur neuen Herrscherin erklärte, aufbewahrt wurden. Wenn man ihn folterte, würde die Verschwörung auffliegen. Katharina musste sofort nach Sankt Petersburg geholt werden und die Macht an sich reißen, solange der Kaiser noch im Dunkeln tappte.
Ich war in Schweiß gebadet. Durch einen Schlitz zwischen den Vorhängen kam ein Streifen Sonnenlicht herein wie in eine Gefängniszelle.
Ich musterte Alexejs Gesicht mit der gezackten Narbe. Mir kamen seine scherzhaften Erklärungen in den Sinn; mal stammte sie von einem preußischen Säbel, mal von einem Einhorn.
»Ich habe ihn in Sicherheit gebracht«, sagte er.
Er sprach von seinem kleinen Neffen, Grigoris Sohn, der jedes Mal
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