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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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freudig gluckste, wenn ich mich über ihn beugte. Als ich ihn das letzte Mal besucht hatte, hatte ich gehört, wie seine Amme ihn zärtlich »unseren goldenen Zarewitsch« nannte. Sie war erschrocken zusammengezuckt, als ich ihr sagte, sie solle ihre Zunge hüten.
    Alexej strahlte vor Stolz, wenn er den Namen seines Neffen aussprach: Alexej Grigorjewitsch, Grigoris Sohn.
    Ahnte ich bereits den ganzen Ehrgeiz der Orlows? Wie tief Katharina in ihrer Schuld stehen würde? Wenn ich es ahnte, dann gestand ich es nicht einmal mir selbst ein.
    Ich dachte an Paul in Oranienbaum, an das Chaos, das dort ausbrechen würde, sobald die Nachricht von dem Putsch eintraf. Leere Korridore, verschreckte Kindermädchen. Versprich mir, ihn zu beschützen , hatte Elisabeth gesagt. Schwöre es beim Leben deiner Tochter.
    »Ich fahre nach Oranienbaum«, sagte ich zu Alexej Orlow. »Ich nehme Darja mit. Paul kennt uns gut, er wird mitkommen, wenn ich ihn darum bitte.«
    Alexej sah mich scharf an. »Haben Sie keine Angst?«
    Ich ging nicht darauf ein. »Wo ist Grigori?«
    Grigori war in der Kaserne und rief seine Kameraden von der Ismailowski-Garde zu den Waffen. Die anderen Brüder warteten zu Hause in der Millionnajastraße auf seine Befehle.
    Im Zimmer nebenan hörte ich Darja Mascha fragen: »Ist das Onkel Alexej? Warum darf ich nicht zu ihm?«
    »Ich muss gehen, Warwara Nikolajewna«, sagte Alexej. »Sag Darenka, ich komme wieder.«
     
    Ich rief Mascha und ließ sie unsere Reisemäntel bringen. »Mach schnell, wir fahren sofort los.«
    Wie lange würde es dauern? Achtundzwanzig Werst bis Peterhof. Von dort fünfzehn bis Oranienbaum. Sechs Stunden mit der Kutsche, wenn ich zweimal die Pferde wechseln ließe.
    Meine alte Dienerin sah mich mit ihrem guten Auge ernst an. Sie wusste Bescheid – ich hatte gar keine andere Wahl gehabt, als sie in unsere Geheimnisse einzuweihen. Wenn alles wie geplant verlief, würde ich Katharinas Erstgeborenen in den Winterpalast bringen, wo er unter dem Schutz der Garderegimenter stand. Wenn der Coup fehlschlug und ich verhaftet würde, sollte Mascha meine Tochter nach Warschau bringen. Im doppelten Boden eines Koffers war neben etwas Geld ein Brief versteckt, in dem ich Graf Poniatowski bat, sich um Darja zu kümmern.
    Ich hörte Mascha einen Segen murmeln. Ich spürte ihre Hand auf meiner Stirn. Ihre Finger waren vom Alter schon etwas steif und knorrig. Mir war aufgefallen, dass sie Schwierigkeiten hatte, eine Nadel einzufädeln.
    Darja spürte, dass das kein gewöhnlicher Ausflug war. »Wo fahren wir hin, Maman?«
    »Nach Oranienbaum.« Ich bemühte mich um einen unbefangen heiteren Ton. »Wir besuchen den Großfürsten Paul.«
    Aber was ich dachte, war: Ich muss ein Versprechen einlösen. Ich habe es bei deinem Leben geschworen.
     
    In Oranienbaum ließ ich den Kutscher hinter dem Schloss beim Dienstboteneingang warten, in der Hoffnung, dass niemand die Kutsche dort besonders beachten würde.
    Ich strich Darjas Kleid glatt und nahm sie bei der Hand. »Schön langsam«, sagte ich, »wir haben es jetzt nicht so eilig.«
    Wir gingen über die Hintertreppe ins Obergeschoss. Auf dem Treppenabsatz blieb ich stehen und lugte um die Ecke. Auf dem Korridor war niemand zu sehen.
    Wir gingen weiter, vorbei an einem Gemälde, das Peter den Großen zu Pferd auf der Bärenjagd zeigte, und an einem Wandteppich mit einer Paradiesszene: Adam und Eva, umgeben von friedlich nebeneinander lagernden Löwen und Lämmern.
    Aus dem Kinderzimmer drang Gelächter, gefolgt von fröhlichem Kreischen und Poltern von Schritten. Dann wurde die Tür aufgerissen und der Kaiser kam herausgerannt, die Hände über dem Kopf. Ein Kissen flog knapp an ihm vorbei und landete auf dem Korridor. Mein Herz pochte wild.
    »Nichts getroffen, Schnaps gesoffen, Butter geleckt, hat gut geschmeckt«, sang der Kaiser spöttisch.
    Die Tür schlug mit einem Knall zu. »Doch, doch, ich hab dich erwischt«, hörte ich Paul schreien.
    Ich zögerte einen Moment, aber wir konnten jetzt nicht mehr umkehren oder in Deckung gehen, wir waren schon zu nahe.
    Der Kaiser trug einen blauen Morgenrock und keine Perücke. Er blickte auf und bemerkte uns. »Warwara Nikolajewna. Wie kommen Sie hierher?«
    Ich knickste. Darja stand stocksteif da, darum zupfte ich sie am Ärmel, um ihr zu verstehen zu geben, dass sie meinem Beispiel folgen sollte, aber der Kaiser wedelte nachlässig mit der Hand.
    »Lassen Sie nur, wir sind hier nicht im Winterpalast.« Er zwinkerte

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