Der Winterpalast
Darja zu und winkte sie zu sich. Sie trat vorsichtig näher.
»Die Großfürstin hat mich geschickt, Majestät.« Ich deutete auf die Tür des Kinderzimmers. Fieberhaft suchte ich nach einem Vorwand für meinen Besuch. »Mit einem Namenstagsgeschenk.«
Noch während ich es aussprach, verfluchte ich mich für meine Dummheit. Es war ja offensichtlich, dass ich kein Geschenk dabeihatte.
Aber es war, als hätte der Kaiser mich gar nicht gehört. Ich sah, dass er Darja Zeichen machte: Er deutete auf die Tasche seines Morgenrocks. Darja fasste hinein und zog eine Handvoll Bonbons heraus.
»Es ist ein Geheimnis«, plapperte Darja. »Sie müssen versprechen, niemandem zu verraten, dass wir hier sind.« Sie stopfte sich die Bonbons in den Mund.
Der Kaiser schmunzelte und legte feierlich die Hand aufs Herz. »Ich verspreche es.«
Dann wandte er sich an mich. »Madame Neunmalklug hat sich eine Überraschung für ihren Sohn ausgedacht?«
»Ja.«
»Dann gehen Sie nur rein«, sagte er lässig, drehte sich um und ging weg. Ich sah ihm nach, wie er durch den Korridor schritt, eine sonderbar schlaksige Gestalt, die mit den Armen schlenkerte und etwas vor sich hin murmelte.
Bevor ich anklopfte, zog ich meine Handschuhe aus. Erst jetzt merkte ich, wie nass und kalt meine Handflächen waren.
Am Vorabend des Staatsstreichs spielte Darja mit Paul. Die beiden bauten zusammen eine Festung aus Kissen und Decken. Nachdem sie sich mit Ananas und Eis gestärkt hatten, stürmte er die Burg, um die Prinzessin, die dort gefangen gehalten wurde, zu befreien und vor wilden Bären zu retten. »Nicht bewegen!«, rief Paul aufgeregt. »Du musst dich totstellen!«
Beim Anblick seines geröteten Gesichts mit den weit auseinanderstehenden Augen, den schmalen Lippen und der Stupsnase beschlich mich ein ungutes Gefühl. Peters Züge, dachte ich. Um mich davon abzulenken, rief ich mir jene Nacht in Erinnerung, in der er geboren wurde, und wie sehr seine Mutter darunter gelitten hatte, dass sie ihr Kind nicht in die Arme schließen durfte.
In Peterhof hatten die Gärtner gewiss bereits die in große Töpfe gepflanzten Zitrusbäume aus der Orangerie geholt und längs des Wegs aufgestellt, auf dem die Gäste des Namenstagsfests morgen zum Schloss kommen sollten. Die Feierlichkeiten sollten dieses Jahr besonders prächtig ausfallen.
Nachdem die Kindermädchen Paul zu Bett gebracht hatten, bat er mich, ihm noch etwas Gesellschaft zu leisten. Er schloss die Augen und sagte lange nichts. Als ich schon dachte, er sei eingeschlafen, und aufstand, um den Docht der Kerze zu kürzen, fing er plötzlich zu sprechen an.
»Sie ist im Schlaf zu mir gekommen.« Er meinte seine Großtante Elisabeth Petrowna. »Sie sagte, ich brauche keine Angst zu haben.«
»Wovor sollten Sie Angst haben?«, fragte ich.
»Ich weiß nicht, aber manchmal habe ich Angst.«
»Alle Menschen haben manchmal Angst.«
»Sogar Leutnant Orlow?«
»Sogar er.« Ich fragte mich, woher er den Namen Orlow kannte.
In den Gärten blühte gerade der Flieder, die Luft roch fast betäubend süß. Aus der Ferne waren Klänge einer Gitarre zu hören.
»Möchten Sie mit mir für die Seele der Kaiserin Elisabeth beten?«, fragte ich.
Paul warf mir einen scheuen Blick zu und nickte. Seine Augen glitzerten feucht.
O Herr, schenke der Seele deiner Dienerin Frieden … , begann ich. Es war der Text des Totengebets, aber im Herzen betete ich für die Lebenden, darum, dass alles, was Elisabeth zerstört hatte, wieder heil, dass das Dunkel, das sie verbreitet hatte, unter der neuen Regierung vom Licht der Wahrheit erhellt werden möge.
Während ich über die schlafenden Kinder wachte, wartete in Peterhof eine gewöhnliche Mietkutsche mit zwei Postpferden vor dem Eingang von Monplaisir. Im silbrigen Zwielicht der weißen
Nacht kleidete Katharina sich in aller Eile an, während Alexej rastlos auf dem Gang auf und ab schritt. Die Zofen hatten ihre Sachen bereitgelegt: Korsett, Hemd, Unterröcke, Strümpfe, Schuhe und das schlichte schwarze Trauerkleid.
»Alles ist bereit für die Proklamation. Stehen Sie auf«, hatte Alexej gesagt, als er an ihre Schlafzimmertür geklopft hatte.
»Jetzt?«, fragte sie. »Warum schon jetzt?«
Offenbar hatte das Geräusch der Kutsche die Hunde alarmiert. Von der anderen Seite des Gartens her war wütendes Gebell zu hören. Ein Licht bewegte sich auf den Zwinger zu. Ein scharfer Pfiff ertönte, dann ein Jaulen; das Gebell verstummte.
»Passek ist verhaftet
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