Der Winterpalast
haben es erraten, Hoheit. Eine wunderschöne Überraschung.«
Paul lachte. »Eine Überraschung.« Er zwinkerte Darja verschwörerisch zu. »Zu Papas Namenstag.«
Darja hüpfte ganz aufgeregt herum. Auch Paul begann zu hüpfen.
»Aber heute ist auch Ihr Namenstag, Hoheit.« Graf Panin mach
te sich wieder bemerkbar. Seine Stimme klang leicht gereizt: Er beanspruchte die ungeteilte Aufmerksamkeit seines Schülers, und es ärgerte es ihn, dass Paul ihn ignoriert und sich Darja zugewandt hatte. Ich hätte besser darauf achten sollen. Ich war lange genug am Hof gewesen, um zu wissen, dass man Zeichen von Eifersucht ernst nehmen muss.
»Ich muss mein Gedicht üben.« Pauls Blick war immer noch auf Darja geheftet.
»Ich helfe dir«, bot Darja an.
Ich sah das verblüffte Staunen in den Augen meiner Tochter, als Graf Panin ihr befahl, den Mund zu halten. Ihre Wangen liefen rot an. »Was hab ich denn getan, Maman?«, stammelte sie verwirrt.
Aber es war jetzt nicht die Zeit, ein verstörtes Kind zu trösten.
Vor dem Schloss herrschte jenes hektische Treiben, das unfehlbar jeder kaiserlichen Ausfahrt, und wäre sie auch noch so kurz, vorausgeht. Schneiderinnen, die noch letzte Änderungen an Staatsgewändern ausführen mussten, gingen ein und aus, Lakaien trugen Koffer und Kisten zu den Kutschen, Katzen flitzten durchs Gewühl und Hunde jaulten. Ich war froh darüber, denn in all der Betriebsamkeit beachtete uns niemand, als wir zu Graf Panins Kutsche eilten.
DIE ERSCHAFFUNG DES KAISERS
Der Herr nahm die Festigkeit des Berges
Die Majestät eines Baumes …
Unsicher und leise rezitierte der Großfürst das Gedicht, während die Kutsche auf der Straße nach Sankt Petersburg dahinjagte.
»Fügte hinzu die Ruhe …« , soufflierte Darja, aber Graf Panin unterbrach sie.
»Bitte, Majestät «, sagte er und legte seine fleischige Hand auf die magere Schulter des Großfürsten.
Paul warf ihm einen beunruhigten Blick zu.
»Habe ich etwas falsch gemacht?«, fragte er.
»Nein, Majestät.« Seine Stimme nahm einen aufgesetzt feierlichen Ton an. »Jetzt ist nicht die Zeit für Gedichte. Ich habe Ihnen etwas sehr Wichtiges mitzuteilen.«
Ich versuchte ihn zu warnen. »Vielleicht wäre es besser, das seiner Mutter zu überlassen«, sagte ich sanft.
»Das möchte ich gerne selbst entscheiden, Warwara Nikolajewna«, fauchte Panin. Die Buchbinderstochter soll sich nicht zu viel herausnehmen, las ich in seinen Augen.
Ich verstummte.
Paul zog die Schultern hoch. Er sah mich an. Ein Kind kann mit Schweigen nichts anfangen, es versteht sich noch nicht darauf, das Ungesagte herauszufiltern.
Ich wandte mich ab. Darja drückte sich verstört noch tiefer in die dunkle Ecke des Wagens.
Wir fuhren weiter dem Winterpalast zu. Panin neben mir erklärte dem Großfürsten, was ein Staatsstreich war. Und den Unterschied zwischen einer Kaiserin und einer Regentin.
Es war schon fast halb sieben, als unsere Kutsche endlich durch die Straßen von Sankt Petersburg fuhr, vorbei an jubelnden Menschenmassen. Triumphgeschrei und Hochrufe auf die Kaiserin hallten in den taghellen Abend. Eine Flutwelle , dachte ich. Wenn die Woge der Begeisterung einmal in Bewegung war, so hatte Alexej versprochen, würde sie so mächtig werden, dass sie alles und jeden mitriss.
Graf Panins Blick schweifte rastlos über die Menge. Die Kinder waren längst verstummt. Ich war froh, als wir vor dem Winterpalast vorfuhren.
Der Wagenschlag wurde geöffnet. Paul wandte sich mir zu.
»Gehen Sie, Hoheit«, sagte ich. »Ihre Maman wartet auf Sie.«
Er kletterte hinaus. Langsam und zögernd, aber ohne zurückzublicken. Graf Panin folgte ihm eilig, fast überstürzt, als fürchtete er, ich wollte ihm zuvorkommen.
Nicht mehr lange, dann war der Großfürst in seinem Kinderzimmer, gut bewacht von Soldaten der Garderegimenter. In Sicherheit.
In der Kasaner Kathedrale leistete Katharina ihren Eid als Kaiserin und Alleinherrscherin. Sie würde nicht als Regentin im Namen ihres Sohnes herrschen. Der Großfürst würde Zeit haben, erwachsen zu werden, bevor er nach dem Tod seiner Mutter auf den Thron gelangte. Und das war gut so.
Ich stand da und wusste plötzlich nicht mehr, was ich als nächstes tun sollte.
»Warum weinst du, Maman?«, fragte Darja.
Ich schloss sie in die Arme und drückte sie – zu fest offenbar, denn ich merkte, wie sie zusammenzuckte.
Ich sah Katharina eine Stunde später auf der Großen Perspektivstraße. In der grünen
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