Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
Vom Netzwerk:
Preobraschenski-Uniform, den Säbel in der Hand, Eichenlaub am Dreispitz, ritt sie auf ihrem grauen Hengst durch ein Meer von jubelnden Menschen von der Kathedrale zum Winterpalast.
    Die Leute fielen auf die Knie und baten sie um ihren Segen, hoben Kinder hoch, damit sie die Stiefel der Kaiserin berühren konnten. Für Alte und Kranke hatte man Stühle an die Fenster gestellt, damit auch sie an dem Wunder teilhaben konnten.
    Ich kniete auf dem Pflaster und dachte an den Tag, als sie in Moskau angekommen war, ein vierzehnjähriges Kind, das nicht wusste, was aus ihm werden würde. Ich dachte an die junge Frau, die sie wurde, gezeichnet von den Leiden, dem Unrecht und den Demütigungen, die sie ertragen musste. Man hatte ihr Vieles weggenommen, aber ihr Herz war nicht gebrochen. Meine Kaiserin , dachte ich.
    Katharinas Stimme schallte weithin durch die Luft: »Ich schwöre beim allmächtigen Gott, dass ich Russland größer machen werde als je zuvor.«
    Alexej und Grigori Orlow in ihren stahlblauen Uniformen des
Ismailowski-Regiments ritten direkt hinter ihr. Zwei Waffenbrüder, groß und schweigend, die Menge der Menschen immer wachsam im Blick.
    Um mich herum aufgereckte Hände, ein Meer von Händen, die winkten und dirigierten: »Lang lebe unsere Matuschka ! Lang lebe unsere Kaiserin!«
    Tränenüberströmt schrie ich mit.
    Auf den Straßen von Sankt Petersburg wehten die Gerüche von Schweinebraten, von Sauerkraut mit Pilzen, von in Schmalz gebackenen Kartoffelblini. In allen Kneipen der Stadt wurde gratis Wodka und Wein ausgeschenkt. Und auf den Tag folgte eine nicht weniger orgiastische weiße Nacht voller Tanz und Sinnenfreuden, in der mehr Kinder gezeugt wurden als am Ende der Fastenzeit.
    Man nannte sie später die Junikinder .
     
    In Peterhof blickte Peter, der sich immer noch für den Kaiser hielt, fassungslos und mit wachsendem Ärger auf den neuen Orchestergraben, die riesigen Töpfe mit den Zitrusbäumen an den Wegen, die Lampions, die an den Zweigen hingen. Heute war sein Namenstag. Warum stand Katharina nicht bereit, ihn zu begrüßen?
    Er schickte einen Lakaien zum Pavillon und ließ Katharina ausrichten, sie möge sich beeilen. Als der Mann mit dem Bescheid zurückkam, die Großfürstin sei noch nicht fertig angekleidet und bitte um Geduld, stand Peter auf der Terrasse des Schlosses und blickte hinab auf die Wasserspiele der Großen Kaskade.
    Als er eine halbe Stunde vergeblich auf Katharina gewartet hatte, beschloss er, sie selbst zu holen.
    Alexej, der uns diese Geschichte erzählte, ahmte die schrille Stimme Peters nach: »Wo sind Sie? Wo sind Sie?«, rief der abgesetzte Kaiser immer wieder, während er in Monplaisir hektisch von einem Zimmer zum nächsten lief und überall nach Katharina suchte, unter dem Bett, in den Schränken und sogar im Klosett, als wäre sie ein Kind, das mit ihm Verstecken spielte.
     
    Der Thronsaal war voll von Leuten, die alle um Katharinas Aufmerksamkeit warben. Die riesigen Spiegel reflektierten die seidenen Fräcke und reich bestickten Kleider, die Uniformen, die unzähligen winkenden Hände, die Hälse, die sich reckten, um einen Blick auf die Kaiserin zu erhaschen.
    Ein großer Tag, ein gesegneter Tag , hörte ich.
    Katharina die Zweite, Kaiserin aller russischen Länder, trug ein Kleid aus glatter elfenbeinfarbener Seide, geschmückt mit dem blauen Band des Sankt-Andreas-Ordens. Der Großfürst Paul neben ihr rieb an dem grünen Ärmel seiner Preobraschenski-Uniform. Er wirkte unglücklich und verwirrt.
    Ich staunte darüber, mit welcher Geduld sie die Huldigungen der Höflinge entgegennahm, die sich in langen Reihen vor ihr drängten, um den Saum ihres Gewands zu küssen und ihr umfangreiche Bittschriften in die Hand zu drücken. Als Grigori Orlow versuchte, die Leute auf Abstand zu halten, wies sie ihn zurecht und sagte, er solle nicht ihre Freunde daran hindern, ihrer Freude Ausdruck zu geben.
    Auch ich kniete vor ihr.
    »Warenka«, sagte sie.
    Triumph leuchtete in ihren Augen, ihr Haar schimmerte, ihre Wangen waren erhitzt.
    Hinter mir drängelte die Menge.
    »Warenka«, sagte sie noch einmal.
    Sie hob mich auf, küsste mich auf beide Wangen und legte ihre Hand auf meine. »Ich brauche dich jetzt sogar noch mehr als vorher. Wirst du mir helfen?«, fragte sie.
    Mir blieb die Stimme weg. Ich nickte.
    »Ich verdanke es Freunden wie Gräfin Malikina«, sagte sie laut zu den Umstehenden, »dass ich Russland aus den Gefahren der Autokratie befreien

Weitere Kostenlose Bücher