Der Winterpalast
fühlten sich geehrt, wenn Mascha bei ihnen geräucherten Stör kaufte.
In der kaiserlichen Suite wandten die Zofen sich an mich, wenn sie jemanden brauchten, der ein gutes Wort für sie bei der Kaiserin einlegte, sei es, weil sie um etwas Geld für eine kranke Mutter oder um die Erlaubnis zu heiraten bitten wollten. »Bringen Sie es bei unserer Matuschka vor«, baten sie. »Sie hört auf Sie.«
Jeden Morgen um fünf stand ich bereit, um der Kaiserin ihren Kaffee und ihre Post zu bringen. Am Abend durfte ich ihr manchmal in ihrem Schlafzimmer so lange Gesellschaft leisten, bis Grigori über seine Privattreppe zu ihr herunterkam. Und es gab hin und wieder gemeinsame abendliche Spaziergänge im Garten und
vereinzelte kostbare Momente untertags, wenn gerade keine der Damen ihres Gefolges in Hörweite war.
Aber wie viel kann man schon sagen bei solchen Gelegenheiten?
Es war wichtiger, zuzuhören.
»Was immer ich tue, Warenka, jedes Mal kränke ich jemanden.«
»Es tut weh, wenn sogar alte Freunde mich so furchtsam ansehen, als wäre ich das Haupt der Medusa. Freundschaft flieht die Macht, heißt es. Muss das so sein, Warenka?«
Grigori Orlow fand immer noch Sachen des Fräuleins in seiner Wohnung, einen Seidenstrumpf, einen Geigenbogen, einen Schuh mit schief getretenem Absatz. Er brachte sie wie Trophäen zu Katharina. Ich sah ihn in ihrem Schlafzimmer auf einem Sofa hingefläzt, ein Päckchen Spielkarten in der Hand, mit dem er sich die Zeit vertrieb, während er wartete. Ich sah ihn, wie er sie umarmte, wenn sie endlich kam, wie er sie hochhob und sich mit ihr drehte, bis sie ganz außer Atem war. Ich sah, wie er ihre Haare beiseite schob und ihren Hals streichelte, während sie am Schreibtisch über Papiere gebeugt saß.
Auf den marmornen Korridoren des Winterpalasts lauerte Feldmarschall Bestuschew, den Spazierstock in der Hand, auf Beute, die so unvorsichtig war, sich mit ihm einzulassen. Wenn er einen erwischte, war man seinen endlosen mäandernden Reden hilflos ausgeliefert. Höfliche Entschuldigungen und Ausreden nutzten nichts, auch wenn das Opfer seine Schritte beschleunigte oder gereizt grimassierte, ließ der frühere Kanzler, gleichviel ob betrunken oder nüchtern, nicht von ihm ab. In der britischen Botschaft gab man den Lakaien ein gutes Trinkgeld dafür, dass sie rechtzeitig warnten, wenn er im Anmarsch war. Alle sehnten die Zeit herbei, da Bestuschews Schwäche für Wodka endlich die Oberhand über seinen Ehrgeiz gewann und er zu betrunken war, um Besuche zu machen.
»Auf ein Wort, Gräfin Malikina. Nur ein Wort«, krähte er heiser, wenn er mich nur von Weitem sah. Der mit Edelsteinen be
setzte goldene Griff seines Stocks glitzerte in dem Licht, das durch Rastrellis riesige Fenster hereinströmte.
Aber ich hatte bereits gelernt, zu schauen, ohne zu sehen.
»Geh noch nicht, Warenka. Ich muss dich noch etwas fragen – es geht um Darja. Aber lass mich das hier zuerst noch abschließen …«
Unter den vielen Briefen, die ich der Kaiserin an diesem kalten Oktobermorgen gebracht hatte, war auch einer von Graf Panin – oder Nikita Iwanowitsch, wie Katharina ihn jetzt nannte –, den sie mit den auswärtigen Angelegenheiten betraut hatte.
Wie so oft in diesen Tagen beschäftigte ich mich in Gedanken mit Darenka. Ich kam häufig in unsere Wohnung und traf sie dort nicht an. »Sie ist gerufen worden«, sagte mir die Gouvernante dann und zeigte zur Decke, um mir zu verstehen zu geben, dass der Befehl »von ganz oben« gekommen sei.
Wenn meine Tochter zurückkehrte, das Gesicht rosig vor Aufregung, hatte sie immer viel zu erzählen. Sie hatte Katharinas Fächer halten dürfen. Sie hatte etwas aus einem alten Gebetbuch vorlesen müssen. Sir Tom war auf der Jagd nach einer Katze in irgendeinem Dienstbotengang verschwunden, aber Darja hatte ihn aufgespürt und der Kaiserin zurückgebracht.
»Wer war denn bei der Kaiserin?«, fragte ich und freute mich, wenn sie mir eifrig die Personen beschrieb: Graf Panin schlurfte immer so komisch beim Gehen, Onkel Grigori hatte für die Kaiserin ein lustiges Schattentheater veranstaltet.
»Was hat er gesagt?«
»Dass die Kaiserin einen guten Ehemann für mich aussuchen soll. Einen, der ein großes Haus auf dem Land hat.«
»Du bist noch ein bisschen zu jung zum Heiraten. Du wüsstest ja noch gar nichts mit einem Ehemann anzufangen.« Ich lachte, aber ganz im Innern spürte ich Angst wie einen Stich ins Herz.
Während Katharina an ihrem Brief schrieb,
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