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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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hervor, eine Hand schützend gegen den Lichtstrahl erhoben, der durch einen Spalt zwischen den Vorhängen drang. Ich bemerkte ihre rot geschminkten Lippen und die mit Hagebuttenöl rosa gefärbten Nägel.
    Sie sah so ganz anders aus als die strahlende Gestalt, die ich von jenem Tag vor mehr als einem Jahr in Erinnerung hatte, als ich mit meinem Vater bei ihr im Palast gewesen war. Ihr offenes Haar wirkte jetzt dünn und schlaff, ihr Gesicht aufgedunsen. Das rosafarbene Negligee enthüllte ein runzliges Dekolletee. Als sie in einem Sessel Platz nahm, sah ich einen Pantoffel an ihrem nackten Fuß baumeln.
    »Dein Vater war ein schöner Mann«, sagte die Kaiserin und spielte mit ihrem goldenen Armband. Ein säuerlicher Alkoholdunst wehte mir mit ihrem Atem entgegen. »Er sah wirklich sehr gut aus. Was war er von Beruf?«
    »Er war Buchbinder, Euer Hoheit.«
    Sie lachte glucksend. »Du hast seine seidigen Augen geerbt.«
    Ich kniete nieder und küsste ihre Hand, die weich war und nach Rosenöl duftete. Sie strich eine Falte an meinem Ärmel glatt, dann wedelte sie mit der Hand zum Zeichen, dass ich mich entfernen sollte.
    Ich zog mich in eine Ecke zurück und wartete, während sie leise mit dem Kanzler sprach. Mir war klar, dass sich jetzt mein weiteres Schicksal entschied. Ich verstand die Worte Großfürst und Ehrendamen . Sie stellte Fragen, die er ohne Zögern beantwortete – offenbar versicherte er ihr, dass ich in jeder Hinsicht den gestellten Anforderungen genügte. Ein- oder zweimal warf die Kaiserin einen Blick in meine Richtung, als wollte sie sich davon
überzeugen, dass der Kanzler die Wahrheit sagte. Mit wild klopfendem Herzen, die Finger verkrampft, lauschte ich gespannt.
    Schließlich verneigte sich der Kanzler und wandte sich mir zu.
    »Du kannst Ihrer Majestät danken, Warwara«, sagte er. Sein Gesicht war vor Freude leicht gerötet.
    Ich sah die Kaiserin an. Sie nickte.
    Dann eilte ich zu ihr und warf mich ihr zu Füßen.
     
    Gemeinsam verließen der Kanzler und ich das kaiserliche Schlafzimmer. Er erklärte mir, dass ich dem Hofstaat des Großfürsten zugeteilt würde, als Kammerjungfer. Die Arbeit sei nicht allzu anspruchsvoll, denn der Großfürst lege wenig Wert auf elegante Kleidung, und seine Militäruniformen dürften die Kammerjungfern nicht einmal anfassen.
    »Beobachte seine Ehrendamen, seine Lakaien, seine Leibdiener«, sagte der Kanzler. »Finde heraus, wer ihn beim Kartenspiel betrügt und wer versucht, sein Vertrauen zu gewinnen. Vergiss nie, dass du über den künftigen Zaren wachst.«
    Ich nickte.
    »Die Kaiserin wird dich nachts zu sich rufen und dich Bericht erstatten lassen«, fuhr der Kanzler fort und stampfte mit seinem Stock auf den Boden, als wollte er damit seinen Worten besonderen Nachdruck verleihen. »Sorge dafür, dass du dann auch etwas Interessantes zu erzählen hast. Du bist nicht die einzige Informantin.«
    Ich nickte wieder.
    Ich spürte seinen Finger unter meinem Kinn.
    »Ich habe mein Wort gehalten, nicht?«
    »Ja.«
    »Und bist du mir dankbar?«
    »Ja.«
    Seine Hand strich über meine Wange, dann ließ er sie sinken.
    »Die Kaiserin will ihre Geschichten haben und ich will meine, Warwara. Ich beschütze dich, ich sorge für dich. Du hörst zu und
gehorchst. Du bist meine Augen und meine Ohren, sei wachsam. Belüge alle anderen, aber niemals mich.«
    Aus dem Schlafzimmer der Kaiserin drang das Lachen einer Männerstimme, gefolgt von den Klängen einer Gitarre. Wer immer der Mann war, er musste durch einen Geheimgang gekommen sein, sobald wir den Raum verlassen hatten.
    Ich ging mit dem Kanzler durch die leeren Korridore zu seinen Gemächern.
     
    Am nächsten Morgen in der Kleiderkammer kam mir Madame Kluges Gesicht noch sauertöpfischer vor als gewöhnlich. Übernächtigt setzte ich mich an meinen Platz und fing an, die Bänder für das neue Kleid zu bügeln.
    Madame Kluge sah mich nicht an.
    Seit der Hof aus der Sommerfrische in Zarskoje Selo zurückgekehrt war, schien Madame Kluges Stern zu sinken. Die Mädchen tuschelten darüber, dass die Miene der Kaiserin sich verfinstere, sobald der Name der Kammerfrau erwähnt werde, ja, angeblich hatte sie Madame eine dumme deutsche Kuh genannt, die nichts, aber auch gar nichts richtig machen könne. Es passierte immer häufiger, dass Madame Kluge in Tränen aufgelöst vom Schlafzimmer der Kaiserin zurückkam, die Kleiderpuppen kaputt, die Kleider herabgerissen und zerknittert. Wir mussten dann jedes Mal alles stehen und

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