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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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hochgeschossene, schlaksige Gestalt in einem weißen Seidenkleid mit Reifrock. Er trug eine Damenperücke, sein mageres Gesicht war gepudert und geschminkt. Die Ehrendamen, alle in dunkelblauen Holsteiner Uniformen, umringten ihn.
    Er drehte sich, die Damen kicherten und klatschten Beifall. Ich sah ihn knicksen und sein Gesicht kokett hinter einer Straußenfeder verbergen. Ich hörte ihn lachen und etwas auf Russisch sagen. Seine helle Stimme kam mir piepsig und sehr ausländisch vor.
    Als sie alle weg waren, wischte ich den Staub von der Truhe und öffnete sie. Sie roch nicht nach Mäusedreck. Ich legte die wenigen Sachen, die ich besaß, hinein, das Kleid meiner Mutter, ihre Schuhe, einige Bücher, die mein Vater gebunden hatte. Ich klappte den Deckel zu und sah mich nach dem Schlüssel um, aber es war keiner da.
     
    Am nächsten Morgen stellte ich mich dem Großfürsten Peter vor. Sein Mohr hatte mir gesagt, ich solle mich beeilen; sein Herr sei müde nach dem Maskenball und wolle nicht lange aufgehalten werden.
    Der Großfürst hatte gerade fertig gefrühstückt. Ich fand, dass er noch schmaler aussah, als ich ihn von gelegentlichen Begegnungen auf den Korridoren des Palasts in Erinnerung hatte. Auf seiner Stirn hatte er einen weißen verschmierten Fleck. Sein blondes Haar war weiß gepudert, »nach spanischer Mode«, wie man das nannte, und er sagte mit seiner Mädchenstimme Namen russischer Orte im Osten auf, wo es Garnisonen gab.
    Bücher mit Landkarten und Bildern lagen auf dem Tisch herum, auf dem noch das Frühstücksgeschirr stand. Ich zuckte unwillkürlich zusammen bei dem Gedanken, dass er sie mit fettigen Fingern anfasste.
    »Sprich«, sagte der Großfürst und schaute von der Landkarte auf, die er gerade studierte. Wenn er deutsch sprach, klang seine Stimme weniger schrill.
    Ich entschied mich dafür, ihm auf Deutsch zu antworten. Ich
sagte, Ihre Majestät habe befohlen, dass ich mich bei ihm nützlich machen solle.
    »Was kannst du?«
    Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er mich das fragen würde, aber dann fiel mein Blick auf die Zeitungen, die auf einem Seitentischchen lagen, und ich verstand, dass sich hier eine Chance bot. »Ich könnte Ihnen vorlesen, Hoheit«, antwortete ich, »damit sie Ihre Augen nicht anstrengen müssen.«
    Er sah mich interessiert an und zwinkerte mehrmals. Seine Wimpern waren sonderbar farblos. Er hatte eine Haut wie Milch – später sollte ich erfahren, dass sie schnell feuerrot wurde, wenn sie zu lange der Sonne ausgesetzt wurde.
    »Ich werde Professor Staehlin fragen«, sagte er. »Er ist mein neuer Lehrer. Er kommt aus Deutschland.«
    Ich erwartete, dass er mich jetzt entlassen würde, aber er deutete auf eine der Landkarten. Seine Fingernägel waren mit rotem Öl gefärbt.
    »Kannst du mir zeigen, wo Preußen ist?«
    Ich nickte, und das freute ihn sichtlich.
    Der Großfürst stellte mir viele Fragen an diesem Vormittag. Er wollte wissen, wo ich geboren war und wie es meine Eltern nach Russland verschlagen hatte. Es enttäuschte ihn, als er hörte, dass mein Vater Buchbinder und nicht Soldat gewesen war. »Die Polen kämpfen wohl nicht gerne?«, fragte er.
    Ich sagte, das wisse ich nicht, und er meinte tröstend, ich solle mir keine Sorgen machen; das Leben sei voller Überraschungen. Er selbst habe früher immer gedacht, er würde König von Schweden werden. »Vielleicht heiratest du ja mal einen Soldaten«, sagte er.
    Erst jetzt bemerkte ich das Kleid mit dem Reifrock, das auf dem Teppich lag, ganz zerknittert und schmutzig.
     
    Zu meiner Erleichterung hatte Professor Staehlin nichts gegen meinen Vorschlag einzuwenden, und so kam ich von nun an jeden
Morgen ins Studierzimmer des Großfürsten, um meinen Dienst anzutreten. »Halte die Augen offen«, hatte der Kanzler mich ermahnt. »Vergiss nie, dass du über den künftigen Zaren wachst.«
    Es gab viel vorzulesen. Zeitungsartikel und Depeschen aus dem Ausland, Beschreibungen von Festungen aus Sila Imperii oder der Galerie agréable du monde. Texte über die Lebensgewohnheiten verschiedener Tiere und die Anatomie von Pflanzen, über das System der Kanäle von Sankt Petersburg und die Schätze der Kunstkamera.
    Alles, was ich vorlas, wurde zum Gegenstand einer Unterrichtsstunde. Der Plan einer Festungsanlage warf Fragen auf, die auf das Gebiet der Mathematik führten, eine Depesche gab Anlass, die Grenzen fremder Länder auf der Karte zu studieren. Und wenn der Großfürst müde oder unruhig wurde, verordnete

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