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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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Professor Staehlin ihm Bewegung im Freien: Sie machten dann Spaziergänge durch die Gärten oder durch die Stadt, die sein berühmter Großvater Peter der Große den Sümpfen und dem Meer abgetrotzt hatte.
    Der künftige Zar, dachte ich oft, hatte einen klugen Lehrer.
     
    In der Nacht wurde ich ins kaiserliche Schlafzimmer beordert. Auf dem Weg dorthin begegnete mir eine Zofe, schluchzend und tränenüberströmt, ein Häufchen Elend. Ich trat durch eine Tür ein, die nahezu unsichtbar in die Wandtäfelung eingepasst war und sich geräuschlos öffnen und schließen ließ. Die Kundschafter der Kaiserin kamen und gingen unbemerkt.
    »Sprich«, befahl die Kaiserin. Sie lag auf ihrem Bett, Kompressen auf den Augen. Lang ausgestreckt neben ihr schliefen zwei Katzen. Ich nahm auf einem mit Stickereien verzierten Schemel neben dem Bett Platz. »Du musst ihr schmeicheln. Erzähle ihr Dinge, die ihr angenehm sind«, hatte der Kanzler mir eingeschärft, »von denen sie nicht genug bekommen kann.«
    »Professor Staehlin hat gesagt, Eure Majestät hat hinreißend ausgesehen in der Uniform des Preobraschenski-Regiments beim Maskenball«, begann ich.
    »Zu wem hat er das gesagt?« Sie nahm die Kompressen nicht von den Augen.
    »Zu Graf Lestocq. Er hat sich auf die Lippen gebissen, als er es hörte.«
    Ein feines Lächeln kräuselte ihre Lippen. Offensichtlich hatte ich ins Schwarze getroffen.
    Von der Tür her drang das Geräusch von Schritten. Die Höflinge der Kaiserin warteten dort draußen ungeduldig, dass sie an die Reihe kamen.
    »Macht mein Neffe gute Fortschritte im Unterricht?«
    »Ja, Majestät.«
    »Hat er ein Auge auf eine der Ehrendamen geworfen?«
    »Nein, er behandelt sie alle gleich. Aber sie bilden sich alle ein, er wäre in sie verliebt, besonders Mademoiselle Gagarina.«
    Ich würde immer reichlich zu erzählen haben, das wusste ich jetzt schon. Durch die Ritzen hatte ich die Ehrendamen beobachtet, in meinem kleinen Kabuff konnte ich jedes Wort ihres albernen Geschnatters nebenan mithören. In den Räumen des Großfürsten sahen sie durch mich hindurch, als wäre ich Luft, aber ich wusste bereits alles von ihnen. Die eine versuchte den Großfürsten mit dem Anblick ihres nackten Busens zu becircen, eine andere schmollte, weil der Großfürst gesagt hatte, sie könne nicht singen. Ich hatte ihren kindischen Geständnissen gelauscht, wenn sie einander von ersten Küssen und geflüsterten Liebesschwüren berichteten. Ich hatte all ihre Begierden und Ängste genauestens analysiert.
    Sie waren so leicht zu durchschauen. Ihr Leben lang so wohlbehütet, dass sie gar nicht auf die Idee kamen, auch nur den Kopf zu drehen, um zu sehen, was hinter ihrem Rücken vorging, so von sich eingenommen, dass sie jemanden, der nicht ihresgleichen war, gar nicht zur Kenntnis nahmen.
    Die Kaiserin nahm die Kompressen von den Augen und setzte sich auf. »Zünde noch eine Kerze an, Warwara. Es ist zu dunkel hier.«
    Ich gehorchte und stellte die neue Kerze auf das Tischchen neben dem Bett. Eine Katze schnurrte. Die langen schlanken Finger der Kaiserin strichen über ihr rotes Fell.
    »Was ist mit Mademoiselle Gagarina, Warwara?« Sie lächelte amüsiert. »Was führt das dumme Gänschen im Schilde?«
     
    Der Großfürst hatte oft Besuch, berichtete ich dem Kanzler.
    Fürst Lew Naryschkin hatte mit seinen dröhnenden Fürzen und der naturgetreuen Nachahmung einer Straßenhure den Großfürsten sehr erheitert. Graf Woronzow hatte ein Geschenk mitgebracht, ein silbernes Feldbesteck, mit eingelegtem Schildpatt und Perlmutt. »Für den edelsten aller Soldaten genau das Richtige«, hatte der Graf gesagt. Madame Kluge schaute unter allerlei Vorwänden häufig vorbei und schikanierte die Kammerzofen; sie schrak nicht davor zurück, sie den Kaminrost schrubben zu lassen, bis er blitzte. Mit Vorliebe tauchte sie zu Zeiten auf, wenn der Großfürst allein war. Sie hatte ihm erzählt, sie sei in Eutin geboren, und versuchte immer, mit ihm Erinnerungen an ihre gemeinsame Heimatstadt auszutauschen.
    Auch die Kaiserin besuchte ihn. Sie hatte ihm zugesehen, wie er eifrig seine Landkarten studierte, und ihm den Kopf getätschelt, als er ihr die Truppenbewegungen in irgendeiner unbedeutenden Schlacht erklärte. »Dein Großvater wäre stolz auf dich«, hatte sie gesagt. Ich berichtete dem Kanzler von der Bärenjagd mit Spür- und Hetzhunden, die im Frühjahr stattfinden sollte. Von dem neckischen Getue der Ehrendamen. Von Mademoiselle Gagarina, wie sie

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