Der Winterpalast
liegen lassen und in aller Eile neue Puppen anziehen, die Madame Kluge präsentieren konnte.
An diesem Morgen kamen zur allgemeinen Erleichterung die Puppen unbeschädigt zurück, und wir konnten uns ganz den letzten Kleinigkeiten widmen, die an dem neuen Kleid, für das die Kaiserin sich entschieden hatte, noch zu machen waren, bevor sie es anziehen konnte: lose Fäden abschneiden, den Saum bügeln, noch einmal den Stoff abtasten, ob nicht irgendwo eine vergessene Nadel steckte. Als wir damit fertig waren, wurde es in Seidenstoff gehüllt, und Madame Kluge nahm es über den Arm und machte sich auf den Weg zur Kaiserin.
Ich sah sie forteilen. Nach einer Weile kam sie wieder, aber nur, um eine Schneiderin zu holen, die noch ein paar kleine Änderungen vornehmen sollte. Ich wartete ungeduldig. Irgendwann begann ich zu fürchten, dass überhaupt nichts passieren würde, dass die Kaiserin ihr Versprechen vergessen hatte.
Aber dann kam Madame Kluge zurück. Sie redete mit unserer Meisterin.
Beide schauten zu mir herüber.
Ich war gerade mit einem roten Abendkleid beschäftigt, ich sollte Besatzbänder anheften. Ich strich ein Band glatt, legte es auf den Seidenstoff und fädelte eine Nadel ein, als Madame Kluge auf mich zu kam.
»Die Kaiserin wünscht, dass du dich um die Garderobe des Großfürsten kümmerst.« Ihre Stimme klang gespannt und unsicher. Ich gab mir keine Mühe, mein Entzücken zu verbergen. »Heute nach Feierabend kannst du deine Sachen packen.«
Die anderen Näherinnen begannen miteinander zu tuscheln.
Das Band und die Seide glitten mir aus den Händen und fielen auf den Boden, aber weder Madame Kluge noch die Meisterin schimpfte, und keine wagte zu sagen, ich solle nicht so unverschämt grinsen.
Am Abend nach der Arbeit führte mich Madame Kluge in ein Zimmerchen im Westflügel. Es lag neben der Kammer, in der die Ehrendamen des Großfürsten schliefen.
Ich müsse meinen Nachttopf selbst ausleeren, erklärte sie mir, aber ich hätte Anspruch auf beliebig viele Talgkerzen, wenn ich nur die abgebrannten Stummel wieder abgäbe. Eine Magd würde mir jeden Morgen einen Krug Waschwasser bringen.
»Ein Regal ist auch in dem Zimmer«, sagte sie auf dem Weg zu meiner Unterkunft. Auf der Treppe bemerkte ich, dass ihre Hand das Geländer übertrieben fest umklammerte.
»Ein Regal, ein Tisch und eine Truhe für Ihre Sachen, Warwara Nikolajewna«, verkündete sie, als wir das Zimmer betraten.
Zum ersten Mal sprach sie mich mit meinem vollen Namen an! Eine Welle des Triumphs überlief mich.
Das Zimmer war nur ein Bretterverschlag – kein Teppich auf den Bodendielen, braune Stockflecken an der Decke, eine dicke Staubschicht auf dem Fensterbrett und dem Tischchen. Kein Ofen. Von der anderen Seite der dünnen Wand hörte ich die Ehrendamen lachen und schwatzen. Sie richteten sich für den Maskenball her, bei dem alle Frauen als Männer und die Männer als Frauen verkleidet auftreten sollten. In einem anderen Raum spielte jemand Geige.
Madame Kluge machte ein paar unsichere Schritte, dann drehte sie sich zu mir um, die Lippen schmal verkniffen.
Es gebe bereits zwei Kammerjungfern, die für die Garderobe des Großfürsten zuständig seien, teilte sie mir mit, und schon die beiden seien kaum ausgelastet mit dem bisschen Arbeit. Die Ehrendamen hatten ihre eigenen Dienstboten. »Am besten fragen Sie den Großfürsten selbst, was Sie tun sollen. Morgen waschen Sie sich gründlich und stellen sich ihm vor.«
Ich hörte wieder die alte Arroganz in ihrer Stimme. Wenn ich erwartete, dass sie sich dazu herabließe, Mutmaßungen über mein weiteres Schicksal anzustellen, oder sich beeindruckt zeigte angesichts der ungeheuren Möglichkeiten, die sich mir nun eröffneten, so hatte ich mich getäuscht, diesen Gefallen tat sie mir nicht. Die Kaiserin wünschte, dass eine von der Gosse aufgelesene polnische Göre dem Großfürsten diente. Nun ja, sollte sie ihren Willen haben. Es war nicht das erste Mal, dass die Kaiserin Entscheidungen traf, über die Madame Kluge nur den Kopf schütteln konnte.
Sie sah mich noch einmal an, dann ging sie.
Ich wischte die Mäuseköttel mit einem Lumpen zusammen, den ich unter dem Tisch fand. Mein Bett war genauso hart und schmal wie das zuvor, die Decke war noch fadenscheiniger.
Schmeichlerisches Gelächter und Entzückensschreie jenseits der Wand verrieten mir, dass der Großfürst den Raum betreten haben musste. Durch eine Ritze zwischen den Brettern konnte ich ihn
sehen, eine
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