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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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mit Trippelschrittchen umhertänzelte. »Ich bin auf der Suche nach einer Braut für dich«, hatte die Kaiserin gesagt und ihrem Neffen in die Wange gekniffen. »Es wird höchste Zeit.«
    Der Kanzler horchte auf bei dem Wort Braut , er drehte scharf den Kopf, seine Lippen spannten sich. Ich musste an einen Vogel denken, der gleich auf irgendeine Beute niederstürzen wird.
    »Hat sie schon Kandidatinnen ins Auge gefasst?«
    »Sie hat ein paarmal Prinzessin Marianne von Sachsen erwähnt.
Aber der Großfürst will nichts von ihr wissen. Sie hat ein Pferdegesicht, sagt er. Jetzt spricht sie meistens von der Prinzessin von Anhalt-Zerbst.«
    »Wieso muss es unbedingt eine Deutsche sein? Als ob wir nicht schon mit dem deutschen Bräutigam genügend Scherereien hätten. Macht er immer noch ins Bett?«
    »Ja. Die Dienstmädchen müssen andauernd die Laken waschen.«
    Der Kanzler machte aus seinem Ärger über den Enkel Peters des Großen keinen Hehl. Weltpolitik war eine zu ernste Sache, als dass man sie den Launen eines kleinen deutschen Herzogs überlassen durfte. Russland musste eine Allianz mit Sachsen oder Österreich schließen. Es wurde höchste Zeit, dass der Thronfolger das endlich einsah.
    Er wirkte müde. Auf seinem Schreibtisch lagen Papiere mit der Oberseite nach unten und immer paarweise angeordnet, damit man es sofort bemerkte, wenn ein einzelnes Blatt fehlte.
    Er seufzte. »Ist das denn zu viel von ihm verlangt, Warwara?«
    Spione sind nicht dafür da, solche Fragen zu beantworten.
    Spione sind dafür da, Informationen zu liefern, beispielsweise Informationen über einen Brief, der in einem Geheimfach eines Schreibtischs versteckt war, das sich öffnet, wenn man auf die geschnitzte Säule rechts davon drückt. Einen Brief, in dem Friedrich von Preußen der klügste Monarch der Weltgeschichte genannt wird. In dem der Verfasser darüber klagt, dass Russland ein barbarisches Land sei, bewohnt von Heiden, die ihre Götzenbilder küssen und sich davon Heilung von allen Übeln erhoffen. Einen Brief, in dem der Anwärter auf den russischen Thron schreibt: Wenn ich Holstein nicht verlassen hätte, so würde ich jetzt in der Armee Eurer Majestät dienen und all das lernen, was zu einem rechten Soldaten gehört.
    Einen Brief, den Madame Kluge weitergeleitet hatte, damit er in die richtigen Hände gelangte.
     
    Von Anfang Oktober an ließ mich Professor Staehlin seinem Schüler regelmäßig ausgewählte Kapitel aus der Geschichte Russlands vorlesen. Die Beschreibung der Großen Gesandtschaft von 1697, der Reise Peters des Großen durch Europa, wo er die Kunst des Schiffsbaus kennenlernte und viele Bücher und kostbare Objekte für seine Sammlungen erwarb. Die Schlacht von Poltawa 1709, in der die russischen Truppen den König von Schweden besiegten und Russland den ersehnten Zugang zum Meer erkämpften.
    Blickt auf ihn , las ich, seht diesen gottgleichen Mann, eingehüllt in eine Wolke aus Staub und Feuer, schweißbedeckt nach all seinen Mühen. Durch Gottes Gnade und den Zaren ist Russland stark. Denn der Herrscher ist der Vater seines Volks, wie die Erde seine Mutter ist.
    »Peter der Große«, sagte Professor Staehlin, »überließ nichts dem bloßen Zufall.«
    Der Großfürst verdrehte nicht die Augen.
     
    Der Besuch der Kunstkamera, des berühmten Museums, das Peter der Große auf der Wasiljewskiinsel hatte erbauen lassen, sollte eine Denkaufgabe sein, die der Großfürst selbständig lösen sollte. Warum hatte sein Großvater diese Einrichtung gegründet? Warum hatte er gewollt, dass Leute seine berühmte Sammlung besichtigten und studierten? Was sollte nach dem Willen des größten aller Zaren sein Volk daraus lernen?
    Der Thronfolger sprang auf und klatschte freudig in die Hände, als Professor Staehlin es ihm ankündigte. »Kommt sie auch mit?«, fragte er und zeigte auf mich.
    »Wenn Euer Hoheit es wünscht, ja.«
    Mir wurde ganz weich in den Knien. Meine Hände zitterten. Man konnte die Insel durch die Fenster des Palasts sehen, aber ich hatte mir angewöhnt, nicht hinüberzuschauen. Nicht dass ich vergessen hätte, dass ich früher dort gewohnt hatte: Ich spürte immer den Faden, der mich mit meinen Erinnerungen verband, an meinem Herzen zupfen und ziehen, aber ich durfte nicht zulas
sen, dass dieses Ziehen noch stärker wurde – der Schmerz hätte mich umgebracht.
    Im Geist hörte ich die Stimme meines Vaters: »Die Macht der Vernunft … besiegt Furcht und Aberglauben … die Kunstkamera ist ein

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