Der Winterpalast
Ingredienzien in altes Papier gewickelt werden. Madame Kluge sollte ein schwarzes Band, frisch gebügelt, darum
binden und das Päckchen in aller Heimlichkeit am rechten Ort verstecken, wo der Zauber seine Wirkung entfalten konnte.
Die Kaiserin hielt den Atem an. Ich wusste damals noch nicht, wie sehr sie sich vor Hexerei fürchtete, aber ich wusste, dass ich nicht aufhören durfte zu reden. Ihre Augen wurden ganz weit, sie fasste meine Hand und zog mich näher zu sich. Noch nie hatte mir jemand so gespannt zugehört.
»Wo ist es?«, fragte sie.
Ich zeigte auf ihr Bett. Ich hoffte inständig, dass ich es richtig verstanden hatte. Dass Madame Kluge getan hatte, was die Alte ihr empfahl.
»Zeig es mir«, sagte die Kaiserin.
Ich ging zum Bett und hob die Matratze hoch. Meine Sorge war ganz unnötig gewesen – wie hätte Madame Kluge der Macht der schieren Verzweiflung widerstehen können? Da lag das Bündel, verschnürt mit schwarzem Band.
Die Kaiserin befahl mir, es zu öffnen.
Ich gehorchte. Es roch nach Staub und Kräutern. Das Päckchen enthielt neben rötlich gefärbten Schnipseln von Fingernägeln einen Knochen, ein Knäuel Haare, eine verschrumpelte Karotte und ein paar getrocknete Blumen.
Die Kaiserin bekreuzigte sich mehrmals.
»Leg es da hin«, befahl sie. Ich hörte die Angst in ihrer Stimme. »Vorsichtig. Lass es ja nicht fallen.«
Ich legte das Bündel auf einen Tisch am Fenster.
»Deck es zu.«
Ich breitete ein Taschentuch darüber.
»Jetzt geh.«
Ich machte einen Schritt auf die Geheimtür zu, aber sie hob den Arm und winkte mich zu sich her.
»Das hast du gut gemacht, Warwara. Der Kanzler hatte recht. Ich bin sehr zufrieden mit dir.«
Ich fühlte, wie ihre Finger über meine Haare strichen.
In dieser Nacht in meiner spartanischen Kammer dachte ich
nicht an den Kanzler oder an Madame Kluge. Ich fragte mich nicht, was passieren würde. Ich schlief ein, ganz erfüllt von dem Gefühl dieser Berührung.
Ihre Majestät trug einen Mantel aus Zobel über ihrem schimmernden Gewand, über dem Rand ihrer grünen Samtkapuze ragte eine schwarze Feder auf, die in ihrem Haar steckte. Von einem Balkon des Palasts aus sah die Kaiserin zu, wie zwei Wachen Madame Kluge auf den Hof führten, der frisch geräumt war, nachdem in der Nacht der erste Novemberschnee gefallen war.
Der Großfürst war nicht dabei. Die Kaiserin hatte ihm Bettruhe verordnet, da er mit Halsschmerzen aufgewacht war. Als ich nach ihm gesehen hatte, um ihn zu fragen, ob ich ihm vorlesen sollte, hatte er sich mit seinem Hund herumgebalgt und mir ungnädig zu verstehen gegeben, ich solle ihn in Ruhe lassen.
Seit dem frühen Morgen hatte sich eine Menschenmenge versammelt. Die Leute drängten sich dicht an den Palastmauern, stampften mit den Füßen und schlugen sich auf die Brust, damit ihnen etwas wärmer wurde.
Das feiste Gesicht von Madame Kluge war bleich und angespannt, sie blickte vor sich auf den Boden. Ich hörte die Leute schimpfen: Deutsche Schlange … die sind unser Unglück.
Füße trampelten auf dem eisigen Pflaster. Gerüchte von finsteren Machenschaften gingen von Mund zu Mund. Mit dem Teufel im Bund … beißt die Hand, die sie füttert.
Jemand schmiss einen verfaulten Kohlkopf. Er landete platschend im Schneematsch. Madame Kluge zuckte zusammen.
Auf frischer Tat ertappt , hörte ich. Damit hat sie nicht gerechnet. Geschieht ihr ganz recht. Spioniert für die Preußen. Hat sich von den Deutschen schmieren lassen.
War immer schon ein hinterhältiges Luder. Hat überall ihre neugierige Nase reingesteckt.
Ein Hund knurrte. Ich hörte einen Paukenschlag.
Alle Augen blickten hinauf zu dem Balkon, dessen Geländer
mit einer Flagge verhängt war, auf der der russische Doppeladler seine Schwingen ausbreitete. Die Kaiserin stand unbewegt da.
Als wieder ein Paukenschlag ertönte, wandte sie sich dem Hauptmann der Garde zu. Sie hob die Hand und einen Moment lang dachte ich, das Flehen in Madame Kluges Augen hätte das Herz meiner Herrin erweicht. Aber die Herrscherin aller russischen Länder nickte nur und ließ ihre Hand sinken.
Die Wachen stießen die Delinquentin vorwärts auf die erhöhte Plattform, die man eilig aus Balken und Brettern zusammengezimmert hatte. Ein paar nasse Schneeflocken fielen auf meine Wangen und meine Lippen. Irgendwo hinter mir schimpfte ein Mann, weil er nichts sehen konnte.
Wie wenig jeder Grund, jede Rechtfertigung vor sich selbst zählt, an die man sich klammert, wenn man gegen das
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