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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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Poststationen waren oft nicht beheizt. Figchen litt an geschwollenen Beinen und musste bei jedem Halt aus der Kutsche gehoben und zur Unterkunft getragen werden. Mehr als einmal mussten die Reisenden in einem Raum zusammengepfercht mit dem Postmeister, seinen Kindern, Hunden und Hühnern übernachten. »Das ist der berühmte Komfort der preußischen Gasthöfe!«, murrte Fürstin Johanna.
    Die Spione beobachteten die beiden Tag und Nacht, und sie meldeten noch das trivialste Detail. Die Kaiserin amüsierte sich köstlich, wenn sie sich die Berichte vorlesen ließ.
    In Riga hatte dann das Versteckspiel ein Ende, die Damen nahmen wieder ihre richtigen Namen an. Die Kutschen wurden nach Preußen zurückgeschickt, und man setzte die Fahrt mit einem prächtigen Schlitten fort, den die Kaiserin gesandt hatte. »Ist das nicht wie ein riesiges Bett, Maman?«, rief Sophie entzückt. »Hast du so etwas schon einmal gesehen?« Sie konnte bald wieder selb
ständig ein- und aussteigen und erklärte, ihr sei zum ersten Mal seit Wochen so richtig warm bis in die Zehen. Sie küsste die Zobeldecken, streichelte die Daunenbetten und Pelze und pries die Großzügigkeit »unserer allerliebsten Kaiserin« in den höchsten Tönen.
    »Schmeicheln können sie, die Anhalt-Zerbsts, das muss man ihnen lassen«, sagte der Kanzler. Seine Hand schlüpfte unter mein Hemd. »Trotzdem wird unser kleines Figchen mit dem spitzen Kinn nicht länger als ein paar Wochen hier bestehen.«
     
    Der Kanzler sah mit Missfallen den steten Strom von Berichten, die alle davon erzählten, wie Prinzessin Sophie voller Verehrung Loblieder auf ihre Wohltäterin sang, und auch die wachsende Ungeduld, mit der der Großfürst seine künftige Braut erwartete, stimmte ihn verdrießlich. In Gegenwart der Kaiserin sagte er über die Prinzessin nur die schmeichelhaftesten Dinge, wie alle es taten, aber vor mir machte er aus seinem Ärger keinen Hehl.
    Was die Spione schickten, war nichts als warmer Speichel. Was sollte er tun? Das Zeug trinken und genießerisch mit der Zunge schnalzen?
    Seine schwarzen Augen funkelten vor Unmut und unterdrückter Wut. Er beklagte sich darüber, dass die Berichte so endlos lange unterwegs seien, dabei kaum etwas Neues enthielten, immer wieder dieselben Geschichten mit unbedeutenden Variationen, und die meisten waren ohnehin vollkommen uninteressant. Herrscher können blind und taub sein für die wichtigsten Dinge, aber ein Höfling darf sich das nicht erlauben.
    »Schau selbst, ob da irgendetwas drin ist, das die Kaiserin wissen müsste«, sagte er und warf mir ein Bündel Papiere auf den Schoß. Das war eine von den Künsten, die er mir beigebracht hatte: in einem Wust von lauter Trivialitäten das einzige wichtige Detail zu entdecken.
    Ich las. Wieder einmal wurde von feierlichen Morgenandachten berichtet, bei denen für die Gesundheit der Kaiserin und des
Kronprinzen gebetet wurde, von Strümpfen, die drei Tage hintereinander getragen worden waren, einer davon geflickt, noch dazu schlampig, von dünnflüssigem und normalem Stuhl, von einem Muttermal auf Sophies Oberschenkel. Unter dem Vorwand, ich müsste ihre geschwollenen Beine behandeln, untersuchte ich die Prinzessin , schrieb der Leibarzt der Kaiserin. Sie hat schon ihre monatliche Regel. Ich kann mit aller Verbindlichkeit versichern, dass sie gesunde Knochen hat und ihre Konstitution erwarten lässt, dass sie gesunde Kinder zur Welt bringen wird.
    Nur Fürstin Johanna sorgte regelmäßig dafür, dass sich die Stimmung des Kanzlers etwas aufheiterte. Voller Vorfreude nahm ich die Abschriften ihrer Tagebucheinträge und der Briefe, die sie nach Hause geschickt hatte, zur Hand.
    Ich wurde von Fürst Wladimir Dolgoruki begrüßt.
    Es kam mir gar nicht in den Sinn, dass das alles zu Ehren meiner Wenigkeit veranstaltet worden sein könnte, einer Person, für die anderswo kaum eine Trommel schlägt, wenn sie nicht ganz sang- und klanglos einziehen muss , schrieb Johanna über den Empfang, den man ihr in Riga bereitete.
    »Das arme Figchen hätte aus der Kutsche fallen können, und kein Mensch hätte es auch nur bemerkt«, bemerkte Bestuschew sarkastisch.
    Ich kicherte.
    Ich machte mich auf seine übliche Tirade über Äpfel, die nicht weit vom Stamm fallen, gefasst, über eitle Mütter und ihre Töchter, aber sie blieb aus, denn der Brief, der jetzt an die Reihe kam, gefiel dem Kanzler noch besser als der Klang seiner eigenen Stimme.
    Als Mitglied der Delegation, die Prinzessin Sophie von

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