Der Winterpalast
auf Zehenspitzen und reckten die Hälse. Ich schaffte es, mich direkt bis zu den Wachen, die die beiden Damen eskortierten, vorzudrängeln, konnte aber zu meiner Enttäuschung nicht mehr als einen flüchtigen Blick auf einen Zobelumhang und eine braune Haube erhaschen.
Ich eilte zur Kaiserin. Sie saß im Thronsaal, umgeben von ihren Hofdamen. Der Großfürst Peter stand bei ihr und trat unruhig von einem Fuß auf den anderen, immer die Tür im Blick. Auch Bestuschew war da, er hatte sich hinter ihnen aufgebaut. Der Ausdruck gezügelter Heiterkeit auf seinen dünnen Lippen täuschte: Er war keineswegs freudig gestimmt. »Du hättest deutlicher werden sollen«, hatte er gefaucht, als ich ihm berichtete, dass die Kaiserin dem Brief, den ich ihr vorgelesen hatte, keine besondere Beachtung geschenkt hatte. »Wir dürfen nicht zulassen, dass diese kleine Hausfrau mit ihren Spielchen durchkommt.«
»Sie sind da, Majestät«, sagte ich atemlos vom Laufen, was mir einen gereizten Blick des Kanzlers eintrug.
»Du hast sie gesehen, Warwara?«
Ich nickte.
»Wirkt Prinzessin Sophie erschöpft von der Reise?«
»Ja, man sieht ihr die Anstrengung an«, sagte ich. »Aber sie brennt darauf, Euer Hoheit kennenzulernen.«
»Frischer als die Mutter wird sie allemal wirken, denke ich.«
Hörte ich da einen gehässigen Unterton in ihrer Stimme? Schwang ein Vorgefühl von Eifersucht mit, noch ehe sie Johanna kennengelernt hatte?
Sie winkte nachlässig, ich trat ab, und da kamen die beiden Damen auch schon herein – offenbar hatten sie lediglich ihre Mäntel abgelegt. Sie waren sichtlich bewegt beim Anblick der Kaiserin. Prinzessin Sophie trug ein eng anliegendes plissiertes Kleid, verziert mit gelben Bändern, ihre Mutter hatte ein biederes Matronenkostüm gewählt, in dem sie plump, ja unförmig aussah.
Gar nicht dumm , dachte ich.
Strahlend in der Pracht ihres weit ausladenden Kleids aus Silbermoiré, besetzt mit Goldlitze und glitzernden Diamanten, eine einzelne schwarze Feder im Haar, stand die Kaiserin da und hörte geduldig zu, während Fürstin Johanna ihre auswendig gelernte Rede aufsagte. Sie sprach von ihrer tiefen Dankbarkeit, von geheiligten Familienbanden und davon, wie sehr sie sich freue, dass sie endlich Gelegenheit hatte, ihren Gefühlen ganz unmittelbar Ausdruck zu verleihen. Sie bat die Kaiserin, dass sie auch weiterhin dem Haus Anhalt-Zerbst gewogen sein möge, besonders aber »meinem Kind, dem Eure Majestät huldvoll gestattet hat, mich an Euren Hof zu begleiten«.
In Elisabeths Augen glomm Freude auf. Sie küsste die Fürstin auf beide Wangen und umarmte sie. Es folgten allerhöchste Gunstbeteuerungen, beglücktes Seufzen, Lobpreisungen und Komplimente, die heftig abgewehrt und desto entschiedener bekräftigt wurden, immer neue Beschwörungen innigster Verbundenheit.
»So, und jetzt lassen Sie mich das schöne Kind einmal richtig ansehen«, hörte ich die Kaiserin sagen.
Sophie stand hinter ihrer Mutter, die Hände übereinandergelegt. Ich sah erst jetzt, wie lang und blass ihr Gesicht, wie stark ausgeprägt ihr Kinn war. Nein, hübsch ist sie nicht, dachte ich. Es war kein wirklich anziehendes Gesicht, obwohl sie einen schönen Teint hatte, milchig weiß und durchscheinend. Die Prinzessin war
schlank, zu schlank. Ihre knochigen Schultern zeichneten sich unangenehm spitz unter dem Stoff des Schals ab. Und trotz allem ging ein besonderer Reiz von ihr aus, etwas, das ich noch nicht genau fassen konnte.
Sophie lächelte, ein schüchtern kindliches Lächeln, und schlug die Augen nieder.
»Ich bin so glücklich wie noch nie in meinem ganzen Leben, Hoheit«, sagte sie leise auf Französisch. »Sie sind sogar noch schöner, als man mir gesagt hat.«
»Oh, wie charmant!«, rief die Kaiserin, umarmte die Prinzessin und küsste sie auf beide Wangen.
Kanzler Bestuschew wurde unruhig. Ich beobachtete, wie er unsichtbare Staubkörnchen vom Kragen seines Samtjacketts wischte.
»Und was ist mit meinem Neffen?« Elisabeth zeigte auf Peter. »Sieht er noch genauso gut aus, wie Sie ihn in Erinnerung haben? Oder sind Sie zu schüchtern, es mir zu sagen?«
Sophies Wangen röteten sich ganz leicht.
»Genug von dieser Staatsaktion«, verkündete die Kaiserin. Sophies stumme Reaktion schien ihr zu gefallen. »Kommen Sie mit in meine Suite, wo wir unter uns sind.«
Sie schritt aus dem Thronsaal, gefolgt von den beiden deutschen Damen und dem Großfürsten. Die Tür zu den kaiserlichen Privatgemächern schloss sich,
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