Der Winterpalast
einzelne Phrasen stolperte.
Auf ein Stück Velinpapier, das immer auf ihrem Schreibtisch lag, hatte sie geschrieben: Drei Dinge sind wesentlich: der Kaiserin zu gefallen, dem Großfürsten zu gefallen und dem russischen Volk zu gefallen.
Die Kaiserin war eine Woche weg, als ich Zeugin wurde, wie Fürstin Johanna ihre Tochter anschrie. Sophie litt unter Übelkeit und Ohnmachtsanfällen und hatte darum gebeten, sie bei Hof zu entschuldigen. Sie solle nicht »so ein Theater veranstalten«, sie führe sich auf wie ein verzogenes Kleinkind, schimpfte die Mutter.
An diesem Morgen nach dem Aufstehen hatte die Prinzessin dunklen Schleim in eine Schüssel erbrochen, die von einer Kammerzofe eilig mit einem Tuch abdeckt und fortgetragen worden war. Sophies Augen waren glasig vor Fieber.
Ich sah, wie die Fürstin sie an den schmalen Schultern packte, sie im Bett hochzog und heftig schüttelte. »Schluss mit diesem wehleidigen Getue!«, sagte sie. »Reiß dich zusammen, zeig dem Großfürsten, dass du die Tochter eines preußischen Offiziers bist!«
Man verabreichte ihr ein Abführmittel und ließ sie einen Tag lang fasten. Das half gegen das Erbrechen, aber das Fieber dauerte
an. Der Hofarzt, der die Prinzessin untersuchte, fand ihren Zustand nicht wirklich ernst. Ihre Haut war glatt und rein, also konnte man eine Pockenerkrankung ausschließen. Er zeigte sich überzeugt, dass Sophie lediglich ein paar Tage Bettruhe brauchte.
Meine Tochter wird Eure Hoheit morgen empfangen , schrieb Fürstin Johanna dem Großfürsten, der sich nach Sophies Befinden erkundigt hatte. Die freundliche Anteilnahme Eurer Hoheit hat sie sehr berührt, indes bittet sie Eure Hoheit eindringlich, sich keine Sorgen zu machen.
Aber das Fieber ging nicht zurück, obwohl man der Patientin Eiskompressen auflegte, die stündlich gewechselt wurden. Am dritten Tag erkannte die Prinzessin ihre Mutter nicht mehr. »Ich möchte ausgehen«, sagte sie immer wieder. Und dann verlor sie das Bewusstsein. Die besten Ärzte von Moskau wurden gerufen und empfahlen einhellig einen Aderlass.
Fürstin Johanna nannte sie Barbaren, Ignoranten, Dummköpfe, deren Behandlungsmethoden allenfalls für die groben Bauern passten, an die sie gewöhnt seien. Russische Ärzte hätten ihren Bruder umgebracht, raunzte sie, sie würde nicht zulassen, dass sie ihr Kind auch nur anfassten.
Dabei blieb sie. Keine Bitten, keine Argumente konnten sie umstimmen. Schuld an der schlechten Verfassung ihrer Tochter seien zu viel Aufregung und die ungewohnte Kost. Noch ein paar Tage strenges Fasten sei die beste Medizin für Sophie. Es gehe ihr bereits jetzt deutlich besser.
Durch das Guckloch in der Dienstbotenkammer konnte ich nicht viel mehr sehen als die zugezogenen Vorhänge des Krankenbetts und die zusammengesunkene Gestalt der deutschen Kammerzofe, die an ihren Fingernägeln herumzupfte.
Am Morgen war die Prinzessin in der Regel bei leidlich klarem Bewusstsein, aber im Lauf des Nachmittags stieg das Fieber wieder an. Die Kammerzofen tuschelten, sie sei schon so schwach, dass ihre Beine sie nicht mehr trügen. Ich hörte den Hofarzt sa
gen, dass bald auch ein Aderlass nicht mehr viel helfen würde. Auf dem Flur hüpfte die kleine Bairta stundenlang von einer Marmorplatte zur anderen und bemühte sich, ja nicht auf eine der Fugen zu treten, denn das brachte Unglück.
Es war immer noch kalt, klirrender Frost lag in der Luft. Die Verlobten hatten alle Einladungen zu Schlittenpartien mit höflichem Bedauern abgelehnt. Ich nahm den Bernstein mit den beiden darin eingeschlossenen Bienen aus seinem Schächtelchen und drehte ihn lange in meinen Fingern hin und her, bevor ich ihn wieder zurücklegte.
»Was willst denn du hier?«, hatte die Fürstin geschrien, als ich gefragt hatte, ob ich die Prinzessin besuchen dürfe. »Hast du sie nicht schon genug belästigt?«
»Was können wir kleinen Menschen schon tun gegen Gottes Ratschluss?«, sagte der Kanzler Bestuschew seufzend, als ich ihm berichtete, dass die Fürstin halsstarrig blieb. »Ich habe mir bei Gott nie gewünscht, dass das Mädchen so abtreten muss.«
»Sie wird dem Großfürsten fehlen«, gab ich meinen eigenen Zweifeln zum Trotz zu bedenken.
»Der Großfürst wird sie schnell vergessen – aus den Augen, aus dem Sinn«, erwiderte der Kanzler. Offenbar zuckte ich zusammen, denn er sah mich scharf an. »Du bedauerst es doch wohl nicht, oder?«
»Nein«, sagte ich. Vielleicht ein bisschen zu prompt.
Ich hatte genug
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