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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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stellen würde, und überlegte, was ich ihr sagen durfte, ohne meine eigenen Geheimnisse zu verraten. Aus dem Zimmer nebenan hörte ich die zwitschernde Stimme der Fürstin und das Lachen eines Mannes.
    »Ist Warwara derselbe Name wie Barbara?«, fragte Sophie.
    »Ja.«
    »Bedeutet er etwas?«
    Ich erklärte ihr, dass mein Name auf Griechisch »Fremde«, »Ausländerin« bedeutete und dass die heilige Barbara, meine Namenspatronin, ein gebildete Frau gewesen war, die gegen den Willen ihres heidnischen Vaters zum Christentum übergetreten war. Man rief sie um ihren Schutz vor Blitzschlag und Unwettern an.
    »Woher wissen Sie das alles?«, fragte die Prinzessin.
    »Ich habe es in einem der Bücher meines Vaters gelesen«, sagte ich und fügte hinzu, bevor sie fragen konnte: »Er ist tot.«
    Sie sah mich an mit ihren blauen Augen. Ich blickte starr auf den Wandbehang hinter ihr. Darauf war eine Nymphe abgebildet, die sich gerade in einen Baum verwandelte: Ihre Haare waren mit dünnen Zweigen durchflochten, ihre Beine gingen in einen Stamm über und waren bereits halb mit Rinde bedeckt. Hinter ihr versuchte ein Mann sie zu packen, bevor sie ihm entkam.
    »Ich lese auch gerne«, sagte die Prinzessin.
    Nur die Bibel mochte sie nicht, erzählte sie, weil ihr Hauslehrer in Deutschland, ein evangelischer Pastor, sie immer Passagen hatte auswendig lernen lassen, und wenn ihr beim Aufsagen auch nur der kleinste Fehler unterlaufen war, hatte er sie geschlagen und gesagt: »Die Freuden dieser Welt sind ihre Leiden nicht wert.«
    Ich betrachtete ihr Gesicht, während sie sprach, die dunklen Schatten unter ihren Augen, das straff gebändigte schwarze Haar, ungepudert und schmucklos. Einen Moment lang schweiften meine Gedanken ab zu dem Katzenkonzert und zu Bairtas kindlicher Freude.
    »Werden Sie mir helfen?«, hörte ich sie sagen. Ich war so über
rascht, dass ich unwillkürlich einen Schritt zurückwich. Meine Absätze sanken in den dicken Orientteppich ein, der auf dem Boden lag.
    »Bei meinem Russisch«, fügte die Prinzessin hastig hinzu und hielt mir ein Blatt Papier hin. Es war ein Brief, genauer gesagt: der Entwurf eines Briefs. Sie hatte Sätze aus dem Übungsbuch ihres Russischunterrichts verwendet, aber sie war sicher, dass daran noch einiges zu verbessern war.
    Sie war fremd hier, und darum durfte sie sich keine Fehler erlauben, erklärte sie mir.
    Ausländer, die es in Russland zu etwas bringen wollten, müssten den allerstrengsten Maßstäben genügen. Die Russen verziehen Fremden nicht das kleinste Vergehen, das hatte man ihr bereits eindringlich eingeschärft. Ihre Stimme zitterte ein bisschen.
    Ich fragte sie nicht, wer sie gewarnt hatte. Ich wollte es nicht wissen.
    »Wir sind beide fremd hier, nicht wahr, Warwara Nikolajewna?«
    »Ja, Hoheit.«
    Es war ein kurzer Brief, ein Dankschreiben an jemanden, der ihr eine Kiste Burgunder von der letzten Lieferung geschickt hatte, die Sankt Petersburg erreicht hatte, bevor die Ostseehäfen zugefroren waren. Eine Aufmerksamkeit, deren Wert ich noch besser zu schätzen wissen werde, sobald die Fastenzeit vorüber ist , hatte Sophie geschrieben.
    Sie hatte nur ganz unbedeutende Fehler gemacht, einige Verstöße gegen die Orthographie, hie und da hatte sie ein »Weichheitszeichen« ausgelassen. Sie gab mir ihre Feder, und ich schrieb die nötigen Korrekturen an den Rand.
    Jedes Mal wenn ich einen Fehler entdeckte, gab sie ein drolliges Stöhnen von sich und sagte »So was Dummes! Wie konnte ich das nur übersehen?« oder etwas in der Art. Als ich fertig war, knickste ich und wollte gehen, aber sie hielt mich auf.
    »Es tut mir leid, dass ich Ihnen so viel Mühe mache«, sagte sie.
    Ich blickte auf, sah, wie ihre Lippen sich spannten. »Es ist nicht der Rede wert«, murmelte ich.
    Sie drehte sich um und nahm ein in gelben Stoff gewickeltes Päckchen vom Kaminsims. »Ich möchte Ihnen etwas schenken – es ist wirklich nur eine Kleinigkeit.«
    »Das ist ganz unnötig«, wehrte ich ab, aber sie schüttelte den Kopf. Ich fühlte ihre Finger an meinem Arm, sie sah mir in die Augen.
    »Bitte, Warwara Nikolajewna«, sagte sie und drückte mir das Päckchen in die Hand. Ich wollte das rote Bändchen aufziehen, mit dem es zugebunden war, aber sie ließ es nicht zu. »Öffnen Sie es erst später.«
    Als ich in meinem Zimmer allein war, löste ich das Bändchen und schlug den gelben Stoff auf. Ein Stück Bernstein, gebettet auf weißen Satin, wurde sichtbar.
    Ich nahm es und hob es ans

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