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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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gesehen, um zu wissen, dass nichts so schnell vergänglich ist wie irgendeine Position am Hof. Es gab genügend Leute, die ebenso darauf bedacht waren, es in dieser Welt zu etwas zu bringen, wie ich. Mädchen, die mich mit überlegenem Lächeln musterten, die trödelten, wenn man sie zur Eile antrieb, die zunehmend nachlässig und unaufmerksam ihren Dienst verrichteten.
    Ich sah sie ins Arbeitszimmer des Kanzlers schlüpfen, hörte gedämpftes Gelächter, sah, wie sie hastig ihre Röcke glattstrichen,
wenn sie wieder herauskamen. Ich bekam mit, dass sie verheiratet wurden, sodass die Kaiserin in Bauerntracht bei ihrer Hochzeit tanzen konnte.
     
    Noch ein Tag verging, und die Fürstin war immer noch nicht bereit, auf die Ärzte zu hören, und sie lehnte es rundweg ab, der Kaiserin mitzuteilen, dass Sophie erkrankt war. Ihre Tochter war stark und jung. Es hatte nichts zu bedeuten.
    In ihrem Schlafzimmer, das direkt neben Sophies Krankenzimmer lag, schmiegte sich die Mutter an einen Kammerherrn. Die Schminke auf ihrem Gesicht war verschmiert. Durch ein Guckloch sah ich, wie seine Lippen ihren Hals liebkosten. Die Fürstin lachte glucksend.
    Ich wartete, bis sie fertig waren. Mich interessierte, was sie miteinander redeten.
    »Dieser Bauerntrampel kann seine Herkunft nicht verleugnen: Am wohlsten fühlt sie sich in der Gesellschaft von Dienstboten … fett, eitel, neidisch … liegt bestimmt jetzt gerade auf den Knien … wahrscheinlich fragt sie die Jungfrau, aus welchem Regiment sie ihren nächsten Liebhaber wählen soll: besser ein Kalmücke oder ein Kosake? … beide, würde ich sagen, schließlich hat sie einiges aufzuholen.«
    Die Bodendielen knackten, die Tür öffnete und schloss sich. Der Liebhaber war gegangen.
    Aus der Dunkelheit meines Verstecks sah ich, wie die Fürstin sich an ihren Schreibtisch setzte und zu schreiben begann, hastig, ohne Pause, eine Seite, noch eine, dann legte sie die Feder ab, wischte sich über die Stirn und gähnte, bevor sie das Blatt zusammenfaltete und versteckte.
    Ein Lächeln lag auf ihren Lippen, als sie aufstand und hinausging. Wenig später hörte ich ihre keifende Stimme aus dem Raum nebenan. Es war stickig, warum hatten die Mädchen nicht gelüftet? Sophies Kissen waren ganz flachgedrückt und schmutzig. Warum war der Nachttopf noch nicht ausgeleert worden?
     
    Das zierliche Schreibtischchen gab sein Geheimnis schnell preis. Dies ist ein barbarisches Land , versicherte die Fürstin dem König von Preußen, nicht das Weltreich, als das es sich ausgibt.
    Ich erinnerte mich, dass Monsieur Mardefeld, der wabbelige preußische Gesandte, Fürstin Johannas Hand mit deutlich mehr Inbrunst geküsst hatte, als einem Diplomaten zustand. War er es, der ihre Briefe an den preußischen König weiterleitete? Bald, sehr bald , verhieß das Schreiben, werde ich Eure Majestät von zahlreichen überaus günstigen Entscheidungen unterrichten können, die auf mein Betreiben hin gefasst wurden.
    Was glaubte die dumme Gans, wer sie war?
    Ich sehe um mich herum nur stumpfe Trägheit und Chaos, ein schwaches und launisches Land, das ständig gelobt werden will.
    Ich legte den Brief wieder in sein Versteck. Auf dem Korridor hörte ich Bairta schluchzen.
    Ein Schauder überlief mich.
    Ihr Kind konnte jeden Moment sterben, aber die Fürstin Johanna würde nie um etwas anderes trauern als um ihre eigenen zerplatzten Illusionen .
     
    »Ah, unsere erlauchte Fürstin möchte gerne eine preußische Spionin sein!« Der Kanzler musste lachen, als ich ihm von meiner Entdeckung berichtete.
    In letzter Zeit trug er kürzere Perücken, die seinen Nacken frei ließen. Er hatte Ringe unter den Augen, und seine Wangen hingen schlaff herunter.
    »Das hast du gut gemacht, Warwara.« Er klatschte in die Hände und lehnte sich bequem in seinem Sessel zurück.
    Ich dachte an Sophie, ihr vor Schmerz erstarrtes, wächsernes Gesicht, die ausgedorrten Lippen, die mühsam nach Luft schnappten. Ich dachte daran, was der Arzt gesagt hatte: »Nur ein Aderlass kann die Gewalt des Fiebers brechen.«
     
    Ich ging zum Großfürsten.
    Er war gerade damit beschäftigt, eines der Holzmodelle aus seiner Sammlung von Miniatur-Festungsanlagen, einem Geschenk seiner Tante, zusammenzubauen.
    Die Bauanleitung vor sich ausgebreitet, wählte er zwei Holzteile aus und klebte sie zusammen, sehr konzentriert darum bemüht, dass die Stücke im genau passenden Winkel zueinander standen. Seine Zungenspitze stand etwas vor, während er

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