Der Winterpalast
ihre Lippen leuchtend rot geschminkt.
Die Prinzessin war noch von ihrer Krankheit geschwächt, aber ihr Schritt war entschlossen, als sie so hinter der Kaiserin, ihrer Mutter und dem Großfürsten dahinging.
Sie sprach das Glaubensbekenntnis auswendig und machte keinen Fehler. Und als sie zu den Worten Simwola weri kam – »Symbole des Glaubens« –, konnte man kaum mehr eine schwache Spur eines Akzents hören.
Gerührtes Schluchzen wurde in der Versammlung vernehmbar,
als der Erzbischof ihr Salz auf die Zunge legte und Stirn, Augen, Hals und Hände mit heiligem Öl salbte. Sie küsste seine Hand. Dann wurde die Messe gelesen, und sie empfing den Leib Christi in der heiligen Kommunion.
Als sie sich wieder zu uns umdrehte, war sie nicht mehr Sophie, die deutsche Provinzprinzessin mit gestopften Strümpfen und fadenscheinigen Hemden. Sie war jetzt Katharina Alexejewna, eine orthodoxe Gläubige. Am Tag darauf sollte in einer Zeremonie in der Uspenski-Kathedrale ihre Verlobung mit dem Großfürsten offiziell besiegelt werden.
Ich sah zu, wie die Kaiserin Katharina in die Arme schloss, sie ihr Schätzchen, ihren Sonnenschein, ihr Goldkind, ihr geliebtes Püppchen nannte.
Katharina Alexejewna. Ekaterina. Katja. Katinka.
Die Kaiserin hatte sie nach ihrer eigenen Mutter genannt. Nicht einmal ein Echo vom Namen ihres preußischen Vaters sollte Elisabeths Anspruch auf dieses Mädchen schwächen: Sie hatte es als ihr Kind angenommen, sie hatte sein Leben gerettet.
Ich bemerkte die Verbitterung im Gesicht der Fürstin.
Die Glocken läuteten, Freudenfeuer wurden entzündet. Am Tag der Verlobung tanzte man auf den Straßen. Ganze Ochsen wurden an Spießen gebraten, aus den öffentlichen Brunnen floss Bier. Als die Nacht hereinbrach, schossen Feuerwerksraketen in den Himmel, zeichneten krachend ungeheure feurige Räder in den Himmel, die als funkelnder Sternenregen niederfielen. Ganz Russland überließ sich rauschender Festfreude.
In den Straßen von Moskau sah ich Feuerschlucker mit gelben Zungen und versengten Fingern. Ich sah einen Tanzbären, dessen Schnauze blutete, einen Papagei, der an seinen Federn rupfte und kreischte und krächzte, während sein Herr die Kurbel seiner Drehorgel drehte. Ich sah ein Mädchen, noch keine zehn Jahre alt, flink auf einem Seil balancieren, das man zwischen zwei Häusern gespannt hatte. Die Menge tief unter ihr schnappte ängstlich nach
Luft, wenn sie schwankte. Überall hallten Freudenrufe. Lang lebe Großfürst Peter, Kronprinz des russischen Reichs! Lang lebe unsere Großfürstin Katharina!
Ich kaufte für Bairta einen Vogel aus Holz, der mit den Flügeln schlug, wenn man ihn über den Boden schob. Ich wollte das Spielzeug neben ihr Bett stellen, sodass sie es nach dem Aufwachen fand – sie sollte nicht wissen, von wem sie es bekommen hatte. Es war ein Abschiedsgeschenk: Katharina hatte Elisabeth gebeten, das Kind wieder nach Hause zu seiner Mutter schicken zu dürfen, und die Kaiserin hatte es erlaubt.
Kanzler Bestuschew war einer der ersten, die der Großfürstin die Hand küssten und dem Großfürsten gratulierten. »Euer Majestät hatten recht«, hatte er zur Kaiserin gesagt. »Sie ist wirklich charmant. Sie hätten keine bessere Wahl treffen können.«
Einmal sah ich Katharina aus dem festlichen Getümmel im Saal hinausschlüpfen auf den Korridor, dessen Wände mit lauter Spiegeln verkleidet waren. Sie lehnte sich kurz an und schloss die Augen. Als ich wenig später zu ihr trat, stand sie vor dem Spiegel, hauchte auf das Glas und schrieb mit der Fingerspitze den Buchstaben S in den Dunst. Dann wischte sie ihn weg, hauchte wieder und schrieb ein K.
Sie ist am Leben geblieben , dachte ich. Sie ist in Sicherheit. Die Kaiserin wird gut auf sie aufpassen.
Ich hatte alles für sie getan, was ich tun konnte, und hoffte, dass es genug war.
»Es ist schon komisch, mit welchem Eifer manche Leute sich ihr eigenes Grab schaufeln«, bemerkte der Kanzler und schaute auf von dem Blatt, das vor ihm lag. Die Kaiserin hört auf mich , hatte Fürstin Johanna in einem ihrer albernen Briefe geschrieben. Sie lässt sich in ihrer Beurteilung der vitalen Interessen des Landes von mir leiten.
Ich wusste, dass der Kurier des preußischen Gesandten auf seiner Reise nach Berlin aufgehalten worden war und dass er das
Angebot von ein paar hundert Rubel Schweigegeld sehr viel attraktiver gefunden hatte als die Aussicht, in die eisigen Weiten Sibiriens verschickt zu werden.
»Lassen wir
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