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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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Großfürsten davon ablenken, seiner Frau ein Kind zu machen? Ein Maskenball? Eine Exerzierübung? Etwas anderes kann ich mir nicht denken. Fällt dir noch etwas ein, kison'ka ?«
    Seine Stimme klang schadenfroh, aber ich tat, als bemerkte ich es nicht.
    Dreiundvierzig Werst trennten mich jetzt von Katharina, eine ganze Tagesreise. Sie konnte nicht mehr ins Theater gehen und keine Besuche empfangen, dafür würde der Kanzler schon sorgen. Was hatte sie noch, um sich zu trösten, außer Büchern?
     
    Der erste Brief aus Oranienbaum war kurz.
    Der Überbringer dieser Nachricht hat viele exquisite Kostbarkeiten im Angebot, die Ihnen bestimmt gefallen werden. Ich bin gespannt darauf zu erfahren, ob Sie seine Dienste in Anspruch nehmen werden. Ich hoffe es sehr. Bitte vergessen Sie nie, dass ich ebenso fest an Ihre treue Ergebenheit glaube, wie ich mich mit Ihnen in Freundschaft verbunden weiß.
    Er war nicht unterschrieben.
    Monsieur Bernardi, ein Juwelier, hatte mir das Schreiben überbracht. Er hatte mich unter dem Vorwand aufgesucht, mir seine Dienste anzubieten. Immerhin war ich nach Igors Beförderung die Frau eines Premierleutnants. So ein Mann legte doch gewiss Wert darauf, dass seine Gattin anderen Damen der guten Gesellschaft in nichts nachstand. Ob ich Monsieur Bernardi gütigst erlauben wolle, sich meinen Schmuck anzusehen?
    Es überraschte ihn nicht, als er mit geschultem Blick entdeckte, dass viele Stücke gründlich gereinigt und repariert werden, dass Ohrringe gerichtet, Perlen neu aufgezogen werden mussten.
    Er erwähnte niemals Katharina und seine Besuche in Oranienbaum. Aber jedes Mal wenn er zu mir kam, steckte er mir einen Brief von der Großfürstin zu und nahm einen an sie in Empfang. 
     
    Sie sind zu großen Dingen bestimmt, schrieb ich im ersten Brief.
    Vertrauen Sie niemandem , hätte ich am liebsten geschrieben. Nichts hat sich geändert, Sie spielen in einem Casino, in dem alle betrügen.
    Aber das wusste sie bereits.
    Sie wusste, welche ihrer Zofen ihre Unterwäsche jeden Monat nach Blut untersuchte. Sie wusste, wer ihre Bücher durchblätterte in der Hoffnung, irgendeine vergessene Notiz oder Nachricht zu finden. Sie wusste, wer sie im Auftrag der Kaiserin bespitzelte und wer dem Kanzler regelmäßig über ihre Geheimnisse Bericht erstattete. Sie hatte alle Gucklöcher in den Wänden ihrer Zimmer ausfindig gemacht, und wenn sie irgendein kompromittierendes Schriftstück verbrannte, blieb sie immer vor dem Kamin stehen, bis es ganz zu Asche geworden war.
    Auch in ihren geheimen Briefen an mich traf Katharina Vorsichtsmaßnahmen. Wenn sie ein Uneingeweihter las, musste er glauben, sie seien an einen Mann gerichtet, dessen Name allerdings nie erwähnt wurde. Und sie benutzte Decknamen und Tarnbezeichnungen: Die Kaiserin war »La Grande Dame«, Peter »der Soldat«. Die Tschoglokows nannte sie »Pfau« und »Henne«, den Kanzler »den alten Fuchs«, die ersehnte Schwangerschaft »das große Ereignis« oder »gute Nachricht«.
     
    Es schmerzt mich, Monsieur, dass ich schon so lange nicht mehr das Vergnügen gehabt habe, Sie zu sehen. Selbst wenn ich nur einen flüchtigen Blick auf Ihre Gestalt erhaschen könnte, wäre mir das ein großer Trost. Ich sehne mich nach einer Zeit, da ich wieder auf Sie zu treten und meiner Freude Ausdruck geben darf, Sie zu sehen.
    Diese dunklen Tage können nicht ewig dauern, oder?
    La Grande Dame redet vom Lesen, als wäre es eine unheilbare Krankheit.
    Man hat einen meiner Diener entlassen, weil ich so töricht war, ihm in Anwesenheit der Henne für seine Freundlichkeit zu danken.
    Der Mohr des Soldaten wurde nach Sankt Petersburg beordert, und man hat zwei Kammerdiener ausgetauscht. Es ist uns verboten, irgendjemanden gern zu haben, wir dürfen uns mit niemandem anfreunden. Ich bete zu Gott, dass dieser Briefwechsel unentdeckt bleibt. Ich beschwöre Sie, Monsieur, vernichten Sie diese Briefe, sobald Sie sie gelesen haben.
     
    Ich gehorchte und verbrannte sie. Aber sie sind in meinem Gedächtnis bewahrt, so wirklich, als hielte ich sie immer noch in der Hand, und jedes Wort, das ich lese und immer wieder lese, setzt seine Dosis Kummer frei.
     
    Die Briefe trafen weiter mit steter Regelmäßigkeit ein. Die Blagen von Pfau und Henne gingen dem Soldaten auf die Nerven: Sie wollten unbedingt mit seinen Modellfestungen spielen. La Grande Dame kam nach Oranienbaum, begleitet von ihrem neuesten Favoriten, schoss zweiundzwanzig Rebhühner und erlaubte Katharina,

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