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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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Reitunterricht zu nehmen. Ich lernte die Briefe auswendig, bevor ich sie ins Feuer warf.
    Ich war froh, dass Katharina weit weg war von den Intrigen am Hof. Sie schrieb, in den Gärten von Oranienbaum finde sie ein unerwartetes Glück, ein Gefühl innerer Ruhe, das immer stärker werde. Es gab immer noch keine »gute Nachricht« zu melden, aber die langen Tage auf dem Land ließen ihr viel Zeit zum Lesen und Nachdenken. Sie sei keineswegs müßig, versicherte sie mir, vielmehr nutze sie die Gelegenheit, um sich über ihre Aufgabe im Leben, über ihre Pflichten und Verbindlichkeiten klar zu werden. Mehr und mehr gelange sie zu der Überzeugung, dass
Freundschaft und Loyalität die kostbarsten Güter seien, die man erlangen könne.
    Eine Zeit lang fand ich Trost in diesen Worten.
     
    Ein Jahr verging, und der Kanzler bestimmte immer noch über die ganze Lebensführung des Thronfolgerpaares. Die Kaiserin war inzwischen so weit, dass sie auch in aller Öffentlichkeit keinen Hehl mehr daraus machte, wie sehr es sie erboste, dass der Großfürst und seine Frau es wagten, ihr die Erfüllung ihres sehnlichsten Wunsches zu versagen.
    Das Thema beschäftigte die Offiziersgattinnen in den Salons von Sankt Petersburg wie kein zweites. Die Kaiserin gab Katharina die Schuld, erzählte man.
    »Ich habe sie hergeholt, damit sie Kinder in die Welt setzt, nicht damit sie ihre Nase in Bücher steckt«, hatte sie geschrien, als ihr wieder einmal gemeldet wurde, dass Katharinas Monatsblutung eingesetzt hatte. »Was bildet die sich ein!«
    Die Großfürstin wurde zum Objekt boshafter Sticheleien. Alle möglichen Erklärungen dafür, dass sie nicht schwanger wurde, waren im Umlauf. »Es liegt daran, dass Ihre Hoheit beim Reiten keinen Damensattel benutzt«, meinte die eine, »sie schnürt sich zu eng«, eine andere. »Was taugt ein unfruchtbarer Schoß?«, fragten die Leute. »Nicht mehr als ein verdorrter Obstbaum.«
    Und noch andere Dinge wurden geredet. Beim letzten Hofball hatte der Großfürst nur ein einziges Mal mit seiner Frau getanzt. Merkte Katharina denn nicht, dass es ihren Mann ärgerte, wenn sie ihn andauernd spüren ließ, wie überlegen sie ihm war? Dass Peter dazu übergegangen war, in ihrer Gegenwart demonstrativ die Vorzüge ihrer Ehrendamen herauszustreichen? Fürstin Kurakina hatte so eine wunderbar zierliche Figur. Er kannte niemanden, der so musikalisch war wie Gräfin Woronzowa. Natürlich, welcher Mann möchte schon eine Frau haben, die auf ihn herabsieht?
    Wieso kann sie nicht öfter lächeln, einen Scherz machen, Wein trinken, statt immer nur über Bücher zu reden?
    Mein Vater sagte immer: Wenn der Baum umgestürzt ist, springt jede Ziege drüber weg.
     
    Katharina schrieb mir, sie habe Höflinge dabei belauscht, wie sie über sie redeten. Sie sei kalt und hochmütig, hatten sie gesagt, ihre Hand wie eine Tigertatze, ihr Lächeln dünn und grausam.
    Sie durfte kaum je Oranienbaum verlassen, und wenn sie ausnahmsweise einmal in Sankt Petersburg war, um gemeinsam mit der Kaiserin und dem Großfürsten bei irgendeinem bedeutenden offiziellen Anlass aufzutreten, musste sie sehr vorsichtig sein. Versuchen Sie nicht, sich mir zu nähern, Monsieur , schrieb sie. Es ist zu gefährlich: Es könnte dazu führen, dass ich auch noch des letzten Trosts, der mir geblieben ist, beraubt werde. Und so sah ich sie nur von fern.
    Sie berichtete, dass sie oft stundenlang alleine dasaß, ein Buch im Schoß, und vor sich hin starrte. Die Kaiserin sprach sie nur selten an, und wenn, dann klang Elisabeths Stimme mürrisch und gereizt. Ich bin mir sicher, dass der alte Fuchs mich bei der Grande Dame schlechtmacht. Aber ich kann nichts dagegen tun. Wieso ist er so feindselig? Ich habe ihm nie Grund dazu gegeben. Wenn ich vorsichtig anfragte, wie die Aussichten auf »gute Nachrichten« seien, ging sie nicht darauf ein oder mahnte: Bitte, Monsieur, schweigen sie davon – es steht nicht in meiner Macht. Der Gedanke, dass es lieben Menschen gut geht, ist der einzige Trost, der den Trostlosen bleibt.
     
    Hundekämpfe, Pharo, Billard, Faustkämpfe, Ringen mit Bären. Stundenlanges Schwitzen in der banja , Gespräche über die Launen des Glücks.
    Sie feuerten einander an, die Offiziere der kaiserlichen Garde.
    Fortuna ist eine Frau – sie will erobert werden.
    Glück ist ansteckend.
    Keiner, meinten seine Kameraden, kannte sich so gut mit Pferden aus wie mein Mann. Viele erkannten muskulöse Hälse und
kräftige Hinterbeine, viele sahen

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