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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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wollte jetzt nichts mehr dem Zufall überlassen. Sie bestand darauf, dass der Großfürst nun auch initiiert wurde, und die Tschoglokows mussten, zur Buße für ihre Nachlässigkeit, eine geeignete Kandidatin besorgen. Sie verpflichteten eine junge Witwe, Madame Grooth, eine dralle, rosig fleischige Person. Der Hofchirurg überzeugte sich, dass der Kontakt mit ihr ungefährlich war, und erklärte ihr genau, was von ihr erwartet wurde. Auf keinen Fall durfte sie zulassen, dass sich der Großfürst zu früh zurückzog.
    Sie versprach es hoch und heilig.
    Wenn sich die Leute stillschweigend ermutigt fühlen können, verbreitet sich Klatsch desto schneller.
    Der Akt fand im Winterpalast statt. Madame Grooth trug ein aufreizend geschnittenes Kleid, lachte eifrig über die Witze des Großfürsten, ließ ihn an ihrer Brust saugen und hielt ihn fest in der Zange, bis er sich ergoss.
    Schamgefühl und Diskretion waren hier fehl am Platz. Vier Offiziere vom Garderegiment und vier Holsteiner waren abkommandiert worden, das Geschehen durch ein Guckloch zu beobachten. Niemand würde je behaupten können, der Großfürst sei nicht imstande, ein Kind zu zeugen.
     
    Während der Abendtoilette, der Zeit des Tages, zu der die Kaiserin die letzten Besucher empfing, trat Peter ins kaiserliche Schlafzimmer. Er kam mir größer und schlaksiger vor, als ich ihn in Erinnerung hatte, aber auch tollpatschiger.
    Elisabeth schob den Friseur weg, der über sie gebeugt stand, um das bestickte Käppchen zurechtzurücken, das ihre gepuderten Locken in Form halten sollte.
    »Peter«, sagte sie. Der französische Gesandte trat etwas nach vorn, damit er besser sehen konnte. Gräfin Schuwalowa machte ihm Platz.
    »Sie müssen in Zukunft diskreter sein«, fuhr die Kaiserin fort. Ihr Ton war so scharf, dass der Großfürst zusammenzuckte. Seine pockennarbige Nase wurde ganz rot. »Es braucht nicht die ganze Welt zu erfahren, dass Sie eine Geliebte haben.«
    Was für ein Schauspiel! Elisabeth an ihrer Frisierkommode, der Körper noch eingezwängt in das Fischbeinkorsett, die Augen boshaft blitzend. »Ich verlange nicht Verzicht, nur ein bisschen mehr Diskretion, mein Lieber. Nehmen Sie Rücksicht auf die Gefühle Ihrer Frau. Denken Sie daran, wie es sie kränken muss, wenn das bekannt wird.«
    Ihre Diamanten blitzten im Kerzenlicht, das parfümierte Kleid raschelte. »Versprechen Sie mir das, Peter?«
    Ich sah, wie der Kronprinz seine Lippen leckte und nickte. Ich sah ihn erleichtert strahlen – ohne Zweifel bereits in Gedanken
damit beschäftigt, seine eigene Version dessen, was hier passiert war, zu stricken. Ein Hase, der sich einbildete, er habe den Fuchs übertölpelt.
    Ein russisches Schauspiel von großartiger List und Schlauheit war vor meinen Augen aufgeführt worden. Elisabeth die Schreckliche, Peter der Einfältige und Katharina die Kluge waren aufgetreten. Jetzt kam der Moment, da das Publikum urteilen musste, wer zu fürchten und wer zu verachten war.
    Die Worte des Kanzlers kamen mir wieder in den Sinn: Saltykow hat das Seine getan, Katharina ist schwanger … Aber das muss bald geschehen, damit nicht ans Licht kommt, dass der Thronerbe nicht den richtigen Vater hat.
    Eine der Zofen begann damit, die Klammern aus Elisabeths Haar zu ziehen, ein Zeichen, dass die Audienz zu Ende war.
    »Geh ihnen nach, Warwara«, sagte die Kaiserin, als der letzte Höfling den Raum verlassen hatte. »Ich möchte wissen, was sie reden.«
     
    Verschlüsselte Geheimberichte über das sinnliche Temperament des Großfürsten gingen hinaus an alle wichtigen Höfe Europas. Es wurde beschrieben, wie Peter mit selbstsicherem Grinsen jede Frau, die ihm über den Weg lief, anzüglich musterte. Es wurde auch erwähnt, wie enttäuscht Madame Grooth gewesen war, als sie für ihre Dienste nur halb so viel wie versprochen erhielt.
    Es war die Kaiserin höchstselbst gewesen, die auf die Idee gekommen war, Madame Grooth um die Hälfte ihres Lohns zu prellen. »Erbitterung«, sagte sie, während ich ihr die Füße massierte, »macht sich immer lauter vernehmbar als Zufriedenheit.«
     
    Das Arbeitszimmer des Kanzlers war ganz in Rot gehalten. Es roch nach Kampfer und Schimmel. Er schaute von den Akten auf, die vor ihm lagen, und musterte mich durch sein Monokel. Dann schob er die Papiere beiseite.
    »Sie werden feststellen, dass sich hier viel verändert hat, War
wara Nikolajewna. Wir sind ängstlicher geworden, weniger geduldig. Man überlässt wieder vieles den Heiligen;

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