Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
Vom Netzwerk:
Bruchbude abreißen lassen will«, knurrte Igor, als er sich auf den rissigen Bodendielen einen Holzsplitter einzog.
    Ich verbrachte lange Stunden im Vorzimmer des kaiserlichen Schlafgemachs und wartete darauf, dass ich gerufen wurde. Höflinge kamen und gingen; ihre Blicke gingen achtlos über mich hinweg, als lohnte es sich nicht, mich zur Kenntnis zu nehmen, da ich ja ohnehin schon bald wieder verschwinden würde. Ich hörte ihre Stimmen durch die Tür, hörte, wie sie ihre Lobhudeleien herunterleierten, Freunde denunzierten, Gefälligkeiten erbaten. Immer darauf aus, Vorteile zu ergattern, Beute zu machen. Wenn sie weg waren, hörte ich, wie die Kaiserin sie Nichtsnutze nannte, die ihr nur die Zeit stahlen, oder wie sie bemerkte, es wäre amüsant, alle auf einmal kommen und sie ihre Gemeinheiten und Verleumdungen vor der ganzen Versammlung ausbreiten zu lassen, damit sie sahen, was für eine intrigante Bande sie allesamt waren. Ich bekam es mit, wenn Iwan Schuwalow ihr wieder einmal ein Gedicht oder ein Theaterstück vorlas und wenn er die Stimme senkte, um ihr etwas mitzuteilen, das nur für sie bestimmt war. Die Kaiserin
nannte ihren jungen Liebhaber gern »mein Spätzchen«, und wenn die Rede auf die Frühjahrsjagd kam, versicherte sie ihm, dass die Veranstaltung ihm zu Ehren dieses Jahr ganz besonders großartig ausfallen werde.
    Wenn ich dann schließlich eintreten durfte, bekam ich Einblicke in die intimeren Details ihrer Beziehung. Ohne Zweifel steigerte meine stumme Anwesenheit noch ihren Genuss. Die Kaiserin und ihr Geliebter lagen Seite an Seite, er mit nacktem Oberkörper, einen Arm hinter dem Kopf, die Haare zusammengebunden mit einem grünen Band, sie in einem Nachthemd, das so lose war, dass man ihre dunklen Achselhöhlen sah, ein träges Lächeln auf den Lippen, die Stimme weich schnurrend.
    Ich wandte den Blick nicht ab. Unter allen Sünden Elisabeths waren die des Fleisches nicht die schlimmsten.
     
    Am Ende der dritten Woche im Winterpalast bemerkte ich, dass die Türen zur Suite des Großfürsten weit offen standen. Ich lugte durch den Gang.
    Peter saß in einem Sessel, die Beine weit von sich gestreckt, und klagte über den schlechten Zustand des Schlosses Oranienbaum. Die Balken dort waren so verrottet, dass er gezwungen gewesen war, ins Erdgeschoss umzuziehen und die Mahlzeiten in einem Zelt einzunehmen.
    Zwei seiner Jagdhunde schliefen auf dem Teppich; offenbar träumten sie von der Jagd, denn ihre Beine zuckten. Zwei seiner Ehrendamen saßen auf einem Diwan, eine dritte hatte es sich auf dem Boden bequem gemacht; auch einige Offiziere in der blauen Holsteiner Uniform waren da. Ich bemerkte, dass der Teppich an den Ecken zerrissen war, ohne Zweifel von den Zähnen der Hunde. Die Luft war stickig. Trotz des warmen, sonnigen Wetters waren die Fenster geschlossen.
    »Warwara Nikolajewna.« Der Großfürst winkte mir. »Kommen Sie, setzen Sie sich zu den anderen reizenden Damen.«
    Ich trat ein und knickste.
    »Wo ist Ihr Mann?« Das freundliche Lächeln in seinem Gesicht war einem nervösen Grinsen gewichen.
    »Ich weiß nicht, Hoheit«, erwiderte ich. »Er sagt mir nicht, wohin er geht.« Er kommentierte diese Antwort mit einem leisen Pfeifen.
    Igor Malikin, verkündete der Großfürst, sei ein Mann mit Ehrgeiz und Fortune, ein tüchtiger Soldat, der es noch weit bringen könnte. Er müsste sich nur, statt seine Zeit in der Garde zu verschwenden, zu einer Truppe versetzen lassen, wo richtige Männer gebraucht und geschätzt würden, am besten zur Kavallerie. »Da hätte er eine Zukunft«, schloss der Großfürst, »was auch immer eine Ehefrau dagegen einwenden mag.«
    »Ich habe keine Einwände gegen die Entscheidungen meines Mannes«, sagte ich.
    Wieder ein anerkennender Pfiff.
    »Setzen Sie sich, Warwara Nikolajewna. Hierher, das ist der beste Platz.« Er deutete auf einen niedrigen Stuhl, über den ein Bärenfell gebreitet war. Ich zögerte. Der Kopf der armen Bestie mit weit aufgerissenem Maul lag direkt vor dem Stuhl am Boden. Wenn ich mich setzte, würde er unter meinem Rock verschwinden, und mir war klar, dass ich mich auf grobe Scherze gefasst machen musste.
    »Keine Angst, Mischka beißt nicht«, sagte eine Ehrendame und kicherte.
    »Außer Sie wollen es gerne«, fügte eine weibliche Stimme hinzu. Sie gehörte einer Frau, die im Schatten stand und einen Federballschläger in der Hand drehte. Ein rot-weißer Federball lag nicht weit vor ihr am Boden.
    »Aber nur, wenn er sich

Weitere Kostenlose Bücher