Der Winterpalast
die werden es schon richten, denkt man.«
Ich hatte bereits bemerkt, dass Bestuschew im Umgang mit der Kaiserin längst nicht mehr so selbstsicher wirkte wie früher. Die Art und Weise, wie er mit ihr sprach, hatte etwas Unterwürfiges, er floss über vor Lobpreisungen ihrer Weisheit und Weitsicht, die der Kaiserin sichtlich auf die Nerven gingen.
Es war ein warmer, sonniger Tag. Durch das Fenster sah ich Eisschollen auf der Newa und allerlei Treibgut – Fichtenstämme von der Winterstraße zur Insel hinüber, eine Wagenachse mit einem Rad daran.
Auch ich war eine andere geworden. Ich war nicht mehr allein.
»Sehen Sie sich das an.« Der Kanzler zog ein Blatt aus dem Stapel von Papieren auf seinem Schreibtisch und hielt es mir hin.
Es war ein Kupferstich, eine Karikatur. Sie zeigte Iwan Schuwalow, nackt mit müde erschlaffendem Glied. Der kaiserliche Favorit war umringt von jungen Schauspielerinnen mit Straußenfedern im Haar und tief ausgeschnittenen Kleidern, aus denen üppige Busen quollen. In der Bildunterschrift seine klagenden Worte: Ich fürchte, mein Schwengel hat mehr Arbeit angenommen, als er bewältigen kann.
Der Kanzler lachte leise. »Die Sorgen des gemeinen Volks darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen, Warwara Nikolajewna. Es wäre gut, wenn die Kaiserin dieses Blatt zu sehen bekäme, möglichst bald und rein zufällig natürlich, meinen Sie nicht?«
Ich faltete das Papier zusammen und ließ es in meinem Ärmel verschwinden.
Ich verstand ihn auch ohne weitere Erklärungen. Das Spiel der Macht am Hof war immer noch das alte. Überall lauerten Gefahren. Daran hatte die Tatsache, dass die Großfürstin jetzt endlich schwanger war, nichts geändert.
Ich stand auf.
»Sie haben nicht aufs falsche Pferd gesetzt, Warwara Nikola
jewna«, rief der Kanzler mir nach. »Denken Sie daran: Ich habe Ihnen nicht wehgetan.«
Als ich die Tür öffnete, stieß ich fast mit einem Kammermädchen zusammen, das mich erschrocken ansah und rot anlief.
Sergej Saltykow war wieder in Sankt Petersburg.
Ich war ihm im Vorzimmer des Audienzsaals begegnet. Sein schwarzes Haar war glatt zurückgekämmt, seine fröhlich funkelnden Augen taxierten die Frauen, die vorbeikamen. Das Landleben war so schrecklich langweilig, erklärte er, Oranienbaum eine Einöde. Er schätzte den Großfürsten sehr, aber bei aller Freundschaft musste er sich doch fragen, wie ein Mensch es monatelang an einem solchen Ort aushalten konnte. In der Gesellschaft von lauter Gärtnern und Elstern! Das wahre Leben fand hier im Winterpalast statt. Oder an den fernen Höfen Europas. Der König von Schweden, hatte er gehört, besaß ausgezeichnete Pferde.
Katharina schrieb aus Oranienbaum: Bitte sagen Sie mir, wo er ist. Finden Sie heraus, warum er sich nicht mehr hier sehen lässt. Ist es wegen seiner Frau? Oder ist die Grande Dame dahintergekommen? Oder hat der Soldat ihn veranlasst, seine Besuche einzustellen?
Sergej Saltykow erwähnte Katharina mit keinem Wort.
Seiner Frau gehe es gut, als ich ihn fragte. Gesund und munter.
»Ist sie glücklich?«
»Was ist Glück?«, erwiderte er. »Ich habe es noch nicht herausgefunden. Und Sie, Madame Malikina?«
Er ist hier , schrieb ich. Er will auf keinen Fall böswilligem Klatsch über Sie Nahrung geben. Was er weiter vorhat, weiß ich nicht, aber ich werde die Ohren offenhalten.
Es kann so leicht passieren, dass man ein Kind verliert , dachte ich. Sobald sie einen Thronerben zu Welt gebracht hat, werde ich ihr helfen, Saltykow zu vergessen.
»Die Großfürstin ist ganz hingerissen von ihrem neuen Garten in Oranienbaum«, sagte die Kaiserin, wenn man sie nach Katharina fragte. »Ich bringe es nicht übers Herz, sie hierher in die Stadt zu beordern, gerade jetzt, wo ihre geliebten Tulpen blühen.«
Immer noch war der Boden des kaiserlichen Schlafzimmers mit Entwürfen für den Ausbau des Winterpalasts übersät. Wieder hatte Monsieur Rastrelli sich anhören müssen, dass er in zu kleinen Maßstäben dachte. Die neuen Fenster sollten viel größer sein, die Fassade imposanter. Eines jedoch stand jetzt schon fest: Bevor man mit den Arbeiten am Winterpalast beginnen konnte, musste der Hof in ein Ausweichquartier umziehen.
Höchste Zeit, dachte ich. Durch die undichten Fenster unserer Wohnung pfiff der Wind, Schimmel bedeckte die Wände. Schon nach einer Woche im Palast bekam Darja Husten, der allerdings dank Maschas Kräutertee bald wieder besser wurde. »Kein Wunder, dass Schuwalow diese
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