Der Winterpalast
schwanger. Die Kaiserin ist bereit, Saltykows Bankert als Thronerben anzuerkennen. ›Er ist nicht der erste in unserer Familie‹, meinte sie, ›und Saltykow ist von gutem russischem Blut.‹«
Offenbar bemerkte der Kanzler, wie meine Miene sich verdüsterte, denn er machte eine Pause, sichtlich erfreut über die Wirkung seiner Worte. Mir war ganz schwindlig. Was ich geahnt hatte, war wirklich eingetreten: Katharina war von ihrem Liebhaber schwanger. Aber warum hatte sie es mir verschwiegen? Traute sie mir nicht? Wie lange wusste sie es schon?
Die Stimme des Kanzlers riss mich aus meinen Gedanken. Er wollte, dass ich wieder an den Hof zurückkehrte. Nicht als eine der zahlreichen Offiziersgattinnen, die zur kaiserlichen Staffage gehörten, sondern als eine Vertrauensperson, der die Kaiserin zuhörte, die Zweifel in ihr Herz säen und so die Stellung der Schuwalows untergraben konnte. Vor allem brauchte er mich als Sprachrohr, das den Kontakt mit Katharina herstellte. Ich sollte die Großfürstin davon überzeugen, dass der Kanzler Bestuschew der Mutter des künftigen Zaren wertvolle Dienste leisten konnte.
»Ein Leben im Abseits ist nichts für Sie, Warwara Nikolajewna. Das Spiel geht wieder los, und die Einsätze sind noch höher als früher. Ihr Ehemann will doch befördert werden, nicht? Will er nicht ein Landgut kaufen? Und er muss auch an die Zukunft Ihrer reizenden Tochter denken.«
Ich versuchte den Sarkasmus in seiner Stimme zu ignorieren.
»Hören Sie zu, Warwara Nikolajewna?«
Die Uhr auf dem Kaminsims schlug zwei.
»Wieso sollte die Kaiserin wollen, dass ich wiederkomme?«
»Weil Sie ihr etwas berichten werden, das sie noch nicht weiß. Etwas, das die Frau eines Gardeoffiziers leicht zufällig aufgeschnappt haben kann.«
»Was soll das sein?«
Ich musterte sein Gesicht. Es strahlte eine Lebhaftigkeit aus, als wäre er um Jahre verjüngt.
»Saltykow schwört, die Großfürstin sei praktisch noch Jungfrau gewesen.«
Offenbar schnappte ich hörbar nach Luft, denn er legte einen Finger auf den Mund.
»Der Großfürst hat es nie geschafft, richtig einzudringen, und es hat nie eine Ejakulation stattgefunden. Mit seinem Instrument stimmt etwas nicht, es ist ganz krumm. Der Arzt meint, das Übel lässt sich durch einen kleinen Einschnitt leicht beheben, aber das muss bald geschehen, damit nicht ans Licht kommt, dass der Thronerbe nicht den richtigen Vater hat.«
War es denkbar, dass Katharina all die Jahre lang nicht gewusst hatte, was los war? Gab es wirklich niemanden in ihrer Umgebung, der genügend gesunden Menschenverstand besaß, um die Wahrheit zu erkennen, und der ihr auf die Sprünge half? Hatte unser Trick mit dem Taubenblut auf den Laken nur allzu gut funktioniert?
Vor dem Fenster des Gasthauses pickten Vögel an dem Stück Speck, das der Wirt für sie aufgehängt hatte. Der Kanzler muss mir meine Verwirrung angesehen haben, denn er beugte sich vor und sagte beschwörend: »Bitten Sie um eine Audienz bei der Kaiserin, Warwara. Ich sorge dafür, dass Sie zu ihr vorgelassen werden.«
Er stand auf und begleitete mich zur Tür. Seine Equipage stehe zu meiner Verfügung, sagte er, er selbst werde eine Mietkutsche nehmen.
Der Frühling in Sankt Petersburg ist so hell, dass es in den Augen wehtut. Der pulvrige Aprilschnee in der Luft glitzert wie Diamanten. An der Kutsche des Kanzlers waren noch die Kufen montiert; sie glitt durch die Straßen, vorbei an schmutzigen Haufen von altem Schnee. Von den Eiszapfen an den Dachtraufen tropfte Schmelzwasser, während es dort, wo die Sonne nicht hinkam, noch so kalt war, dass sich der Atem der Passanten in weißen Dunst verwandelte.
Ich musste an Darjas Augen denken, runde, schwarze, glänzende Kiesel.
Was würde aus ihr werden, wenn ich starb? Die großen Erwartungen ihres Vaters würden wohl kaum genügen, ihre Zukunft zu sichern.
Ich dachte an Sergej Saltykow, der sich auf die Kunst verstand, immer die richtige Karte aufzudecken. Ich hoffte, dass Katharina ihn nicht liebte, dass sie nur ein Kind von ihm wollte, damit Elisabeth endlich Ruhe gab.
Ein Kind und ein paar flüchtige Momente der Lust.
Der Kanzler hielt Wort. Am nächsten Tag kam ein Schreiben vom Palast. Ich wurde aufgefordert, mich beim Oberhofmeister einzufinden.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Igor. Er lag auf dem Boden und baute zusammen mit Darja einen Turm aus Holzklötzen.
Das Verhältnis zwischen meinem Mann und mir hatte mittlerweile eine Form angenommen, die
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