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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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traut«, bemerkte eine andere unter dem Gelächter der Runde. »Es gibt nämlich Frauen, die selbst Mischka Angst einjagen.«
    Eine Spielkarte landete auf meiner Schuhspitze. Karo Ass.
    Die Frau mit dem Federballschläger begann etwas vorzulesen, das ich zuerst für einen Bericht von irgendeinem militärischen
Unternehmen hielt. Eine düstere abweisende Festung trotzte allen Sturmangriffen, die Angreifer wurden jedes Mal zurückgeschlagen. »Die Festung wurde klug, ja geradezu neunmalklug verteidigt« , las sie. »O ja, neunmalklug.« Sie kicherte. Der Großfürst lachte schallend.
    Ich erkannte die Frau wieder. Es war Gräfin Woronzowa, die Nichte des Vizekanzlers Woronzow. Sie sah ziemlich reizlos aus und hinkte. Das Fräulein , so wurde sie genannt, gehörte zu Katharinas Gefolge. Was hatte sie hier zu suchen? Was für Lügen hatten es ihr ermöglicht, aus Oranienbaum wegzukommen?
    Die Diener sorgten dafür, dass die Weingläser immer gefüllt waren. Im Kamin, in dem kein Feuer glomm, stapelten sich leere Flaschen.
    »Die Festung« , fuhr die Gräfin fort, »war als stolz und eisig beschrieben worden. Spione, die sie auskundschaftet hatten, hatten von schroffen Mauern und einem engen Tor berichtet.«
    Ich hatte keinen Zweifel mehr, dass sie von Katharina sprach, der »Festung«, die endlich von ihrem Ehemann erobert worden war. Sieben Jahre nach der Hochzeit, aber so genau wollten es die Anwesenden lieber nicht wissen. Siedend heiß kochte die Wut in mir auf, es fiel mir schwer, meine gleichgültige Miene zu bewahren.
    Das Fräulein warf dem Großfürsten einen schelmischen Blick zu und reckte siegesgewiss die Faust in die Luft, was er mit einem behaglichen Schmunzeln quittierte. Das hier war nicht irgendeine Madame Grooth, die man bezahlte und fortschickte, sondern eine Hofdame, die auf größere Beute aus war. Hässlich und lahm, wie sie war, hatte sie schon wilde Eber zur Strecke gebracht.
    »Schließlich wurde der Widerstand gebrochen, und das Blut floss in Strömen, während von der hinteren Bastion Kanonenschüsse donnerten und weithin verkündeten, dass das große ritterliche Werk ruhmreich zu Ende gebracht worden war.«
    Wieherndes Gelächter und ein paar laute Fürze belohnten die Vortragende. Das Glas des Großfürsten wurde wieder gefüllt, aber
er hantierte so fahrig damit, dass die Hälfte des Weins auf den Teppich schwappte. Das Fräulein klatschte in die Hände.
    »Darf ich mich jetzt entschuldigen, Hoheit?«, fragte ich. Sein fröhliches Grinsen widerte mich an. »Die Kaiserin erwartet mich.«
    Er winkte gnädig zum Zeichen, dass ich entlassen war.
    Als ich die Tür schloss, hörte ich noch die schrille Stimme des Fräuleins , die mich nachäffte.
     
    Die Lebensgewohnheiten der Kaiserin hatten sich nicht verändert. Sie stand immer noch spät auf, immer noch zogen sich ihre Tage bis zum Abend quälend langsam hin, Stunde um Stunde mit nichts gefüllt als mit endlosem Tratsch und Geplauder. Gräfin Schuwalowa, die Mutter des Favoriten, führte jetzt den Vorsitz in der Runde der Hofdamen, die von morgens bis abends in den Gemächern der Kaiserin müßig herumsaßen, ihre Stickrahmen auf dem Schoß, und Klatsch über gebrochene Herzen und durchkreuzte Pläne und Erwartungen austauschten. Missgunst und Bosheit und Schadenfreude erfüllten wie giftige Dünste die Luft in den Räumen des Winterpalasts. Ich hatte sieben Jahre fern vom Hof gelebt, aber es war, als wäre ich nie weg gewesen.
    Sobald der Favorit eintrat, rafften die Damen der kaiserlichen Entourage eilig ihre Handarbeiten zusammen und zogen sich aus den inneren Gemächern zurück. Dann wurden die Türen des Schlafzimmers geschlossen, nicht einmal die Dienerschaft durfte es betreten: Das Abendessen kam auf dem mechanischen Tisch durch die Klappe im Fußboden angefahren. Musiker standen auf dem Dienstbotengang bereit. Wenn die Kaiserin es wünschte, spielten und sangen sie dort so laut, dass es durch die Wand im Schlafzimmer zu hören war.
    Meine Stunde kam, wenn Iwan Schuwalow sich in seine Suite zurückgezogen hatte und die Katzen, die im kaiserlichen Bett schliefen, von ihren Streifzügen zurückkehrten. Das Schlafzimmer war immer dunkel und vom Geruch schwelender Dochte er
füllt, denn die meisten Kerzen waren erloschen; nur die vor der Ikone der Heiligen Jungfrau von Kasan brannten noch.
    Es war die Stunde des Tages, in der ungute Gefühle die Kaiserin beschlichen, alte Ängste wieder hochkamen. Ich nutzte die Gunst dieser Stunden, sie

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