Der Winterschmied
Ohrwurm hat derzeit recht viel Einfluss. Das liegt vermutlich an den Büchern, die sie schreibt. Bei ihr klingt die Hexerei ziemlich aufregend.«
»Wie du weißt, mag ich keine Hexen, die versuchen, anderen ihren Willen aufzuzwingen«, sagte Oma Wetterwachs.
»In der Tat«, entgegnete Fräulein Tick und versuchte, nicht zu lachen.
»Ich werde allerdings bei den Gesprächen über Fräulein Verrats Nachfolgerin einen Namen fallen lassen«, kündigte Oma Wetterwachs an.
Und zwar ziemlich laut, dachte Fräulein Tick. »Petulia Knorpel hat sich gut entwickelt«, sagte sie. »Könnte zu
einer vielseitigen Hexe werden.«
»Ja, aber ihre Vielseitigkeit betrifft vor allem Schweine«, meinte Oma Wetterwachs. »Ich dachte an Tiffany Weh.«
»Was?«, entfuhr es Fräulein Tick. »Glaubst du nicht, sie hat schon genug am Hals?«
Ein flüchtiges Lächeln glitt über Oma Wetterwachs' Gesicht. »Wie heißt es so schön, Fräulein Tick: Wenn du etwas erledigt haben möchtest, so beauftrage jemanden, der beschäftigt ist! Und die kleine Tiffany wird bald sehr beschäftigt sein«, fügte sie hinzu.
»Warum sagst du das?«, fragte Fräulein Tick.
»Hmm. Nun, ich bin mir nicht sicher, aber es dürfte interessant sein, was mit ihren Füßen passiert...«
In der Nacht vor der Trauerfeier schlief Tiffany kaum. Fräulein Verrats Webstuhl klickte und klackte stundenlang, denn die alte Hexe wollte noch ein paar bereits bestellte Bettlaken fertig bekommen.
Es wurde schon hell, als Tiffany schließlich aufgab und aufstand, in dieser Reihenfolge. Wenigstens konnte sie den Stall ausmisten und die Ziegen melken, bevor sie sich den anderen Aufgaben widmete. Die Nacht hatte Schnee gebracht, und ein bitterkalter Wind wehte ihn über den Boden.
Als sie eine Schubkarre voller Mist zum Komposthaufen brachte, der im grauen Licht vor sich hin dampfte, hörte sie das Klingeln. Es klang ein wenig wie die Windspiele, die Frau Pullunder an ihrer Hütte aufgehängt hatte, doch die waren auf einen für Dämonen unangenehmen Ton gestimmt.
Das leise Klingeln kam von der Stelle, wo im Sommer die Rosen blühten. Schöne, alte Rosen wuchsen dort, mit einem intensiven Duft und so rot, dass sie fast schwarz waren.
Die Rosen blühten jetzt wieder. Aber sie...
»Wiegefallen sie dir, Schafmädchen?«, ertönte eine Stimme. Sie erklang nicht in ihrem Kopf, stammte nicht aus ihren Gedanken, weder den Ersten noch den Zweiten oder Dritten, und Professor Hetzig erwachte nicht vor zehn. Es war ihre eigene Stimme, und sie kam von ihren eigenen Lippen. Aber sie hatte die Worte nicht gedacht und nicht vorgehabt, sie auszusprechen.
Tiffany lief zur Hütte zurück. Auch das war keine bewusste Entscheidung - ihre Beine bewegten sich von ganz allein. Es war nicht unbedingt Furcht; sie verspürte nur den großen Wunsch, an einem anderen Ort zu sein als im Garten, wo die Sonne noch nicht aufgegangen war und der Schnee durch die Luft wirbelte und Eiskristalle so fein wie Nebel versprühte.
Sie lief durch die Tür der Milchkammer und stieß mit einer dunklen Gestalt zusammen, die »Ahm, Entschuldigung« sagte und deshalb Petulia sein musste. Sie war die Art Mensch, die sich entschuldigte, wenn man ihr auf den Fuß trat. Ihr Anblick war Tiffany mehr als willkommen.
»Entschuldige, man hat mich wegen einer schwierigen Kuh gerufen, und, ahm, es lohnte nicht mehr, zu Bett zu gehen«, sagte Petulia und fügte hinzu: »Ist alles in Ordnung mit dir? Du bist ganz blass!«
»Ich habe eine Stimme aus meinem Mund gehört!«, sagte Tiffany.
Petulia sah sie schief an und wich fast unmerklich einige Zentimeter zurück.
»In deinem Kopf, meinst du?«, fragte sie.
»Nein! Solche Stimmen beunruhigen mich nicht! Mein Mund hat ganz von allein gesprochen! Und sieh dir nur das Blumenbeet an! Du wirst es nicht glauben!«
Im Beet blühten Rosen. Sie bestanden aus so dünnem Eis, dass sie schmolzen, wenn man sie bloß anhauchte, und dann blieben nur ihre toten Stängel zurück. Es waren Dutzende, und sie neigten sich im Wind sanft hin und her.
»Wenn ich meine Hand neben sie halte, bringt ihre Wärme sie schon zum Tropfen«, sagte Petulia. »Glaubst du, dein Winterschmied steckt dahinter?«
»Er ist nicht mein Winterschmied! Und ich kann mir nicht vorstellen, wie sie sonst entstanden sein sollen!«
»Und du glaubst, er, ahm, hat zu dir gesprochen?«, fragte Petulia und pflückte noch eine Rose. Eispartikel so fein wie Zucker rieselten bei jeder Bewegung von ihren Schultern.
»Nein!
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