Der Wissenschaftswahn
Computerprogrammen gerückt, die ja gezielt von menschlicher Intelligenz so entworfen werden, dass sie ganz bestimmten Zwecken dienen können. Programme haben ihren Zweck, sie sind intelligent und zielorientiert. Sie sind eher Entelechien als Mechanismen. In dem Ausdruck »genetisches Programm« schwingt mit, dass Pflanzen und Tiere nach Zweckprinzipien angelegt sind, die etwas Geistähnliches haben oder von einem Geist ersonnen wurden. Auch hier wird wieder ein intelligentes Design eingeschleust, obwohl Gene nur Moleküle sind.
Die meisten Biologen werden, wenn man ihnen ernsthaft auf den Zahn fühlt, einräumen, dass Gene lediglich die Sequenz der Aminosäuren in Eiweißmolekülen vorgeben, dass sie an der Steuerung der Eiweißsynthese beteiligt sind. Es gibt keine Gene »für« Merkmale wie eine Fischflosse oder das Nestbauverhalten der Webervögel. Aber der molekulare Vitalismus schleicht sich doch immer wieder ein. Und so gleitet die mechanistische Theorie schließlich in irreführende Metaphern und eine widersprüchliche Ausdrucksweise ab.
Für die meisten Menschen, insbesondere wenn sie Gärtner sind oder Hunde, Katzen, Pferde und andere Tiere halten, ist sonnenklar, dass Pflanzen und Tiere Lebewesen und nicht Maschinen sind.
Organismische Philosophie
Während die mechanistische und vitalistische Theorie auf das siebzehnte Jahrhundert zurückgehen, entwickelte sich die Philosophie des Organismus, auch als ganzheitlicher oder organismischer Ansatz bezeichnet, seit den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Einer seiner Hauptvertreter war der Mathematiker und Philosoph Alfred North Whitehead ( 1861 –1947 ), ein anderer Jan Christiaan Smuts, ein südafrikanischer Staatsmann und Privatgelehrter. In Smuts’ 1926 erschienenem Buch
Holism and Evolution
(
Die holistische Welt
, 1938 ) geht es um »die Tendenz der Natur, durch schöpferische Evolution Ganzheiten hervorzubringen, die mehr sind als die Summe ihrer Teile«. [94] Holismus war für ihn
das grundlegende synthetische, ordnende, organisierende und regulierende Geschehen im Universum, das für alle strukturbildenden Gruppierungen und Synthesen verantwortlich ist – vom Atom und den physikalisch-chemischen Gebilden über die Zellen und Organismen, über den Geist der Tiere bis hin zur Persönlichkeit des Menschen. Die synthetische Vereinigung oder Ganzheit in diesen Strukturen ist von allgegenwärtiger und stetig weiter um sich greifender Natur und führt zu dem Schluss, dass Holismus das Grundgeschehen ist, auf dem alle Vorgänge beruhen und von dem sie koordiniert werden, und dass dieses Universum ein holistisches Universum ist. [95]
Das holistische oder organismische Denken, auch als »Organizismus« bezeichnet, stimmt mit der mechanistischen Theorie insofern überein, als es die Einheit der Natur betont: Das Leben biologischer Organismen ist von physikalischen Systemen wie Molekülen und Kristallen nur graduell und nicht grundsätzlich verschieden. Der Organizismus bestätigt darüber hinaus den vitalistischen Gedanken, dass Lebewesen ihr Ordnungsprinzip in sich selbst tragen. Organismen sich Ganzheiten, die sich nicht auf die Physik und Chemie einfacherer Systeme zurückführen lassen.
Letztlich ist für die organismische Philosophie also alles in der Natur lebendig. Darin ist sie eine aktualisierte Form des vormechanistischen Animismus. Selbst Atome, Moleküle und Kristalle sind Organismen. Smuts drückt es so aus: »Materie und Leben weisen – in Gestalt des Atoms und der Zelle – strukturelle Einheiten auf, deren geordnete Gruppierung jene natürlichen Ganzheiten hervorbringt, die wir Körper oder Organismen nennen.« [96] Atome sind nicht einfach Bausteine, nicht einfach Stoff wie im alten Atomismus. Vielmehr zeigte die Physik des zwanzigsten Jahrhunderts, dass sie Aktivitäts- oder Schwingungsmuster in Feldern sind. Wie Whitehead sagt: »Biologie ist die Erforschung der größeren Organismen, Physik die Erforschung der kleineren.« [97] In der Gestalt der modernen Kosmologie ist Physik auch die Erforschung ganz großer Organismen wie der Planeten, Sonnensysteme, Galaxien und des gesamten Universums.
Die organismische Philosophie besagt außerdem, dass wir überall in der Natur und über die gesamte Größenordnungsskala hinweg feststellen, dass Ganzheiten aus Teilen bestehen, die ihrerseits Ganzheiten einer niedrigeren Größenordnung sind. Dieses Ordnungsmuster lässt sich wie in Abbildung 1 darstellen. Die ganz kleinen Kreise
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