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Der Wissenschaftswahn

Der Wissenschaftswahn

Titel: Der Wissenschaftswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rupert Sheldrake
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ihm offen … In der Originalfassung der Geschichte, wir erinnern uns, gelingt es dem Philosophen nur unter großen Mühen, die Ketten zu sprengen, die ihn an die Schattenwelt fesselten … Üppige Forschungsetats, riesige Laboratorien, mächtige Unternehmen und eine allmächtige Maschinerie ermöglichen den Forschern heute ein vollkommen abgesichertes Kommen und Gehen – von der sozialen Welt in die Welt der Ideen und von der Welt der Ideen zurück in die Höhle, in die sie das Licht tragen. Der schmale Durchlass ist ein Boulevard geworden. [555]

    Zusammen mit dem Traum von körperloser Erkenntnis spricht diese Auslegung des Höhlengleichnisses implizit auch vom Ideal der wissenschaftlichen Objektivität. Die Wissenschaftler selbst freilich legen ein nicht ganz so eindeutiges Verhalten an den Tag.

Wissenschaftliche Spiegelfechterei
    Der wortgewandte britische Biologe und Medizinnobelpreisträger Peter Medawar hielt 1963 einen sehr kurzweiligen Radiovortrag, in dem er fragte: »Ist der wissenschaftliche Forschungsbericht Augenwischerei?« Und er antwortete selbst mit »ja«. Er sprach aber nicht von falschen oder manipulierten Daten, sondern von der herkömmlichen Abfassungsform wissenschaftlicher Arbeiten. Es gab und gibt ein Standardformat für Forschungsarbeiten, die in wissenschaftlichen Zeitschriften erscheinen sollen: Auf eine neutral klingende Einleitung folgt die Darstellung der Fragestellung mit Verweisen auf frühere Forschungen, gefolgt von einem methodischen Teil, dann den Ergebnissen und zuletzt einer Diskussion. Medawar sah das so:

    Der »Ergebnisse« genannte Teil besteht aus einem Strom von faktischen Informationen, und es ist absolut verpönt, hier bereits ein Wort über die Bedeutung dieser Ergebnisse zu verlieren. Sie müssen allen Ernstes so tun, als wäre Ihr Geist ein leeres Gefäß, sozusagen reine jungfräuliche Empfänglichkeit für das, was Ihnen aus unerfindlichen Gründen an Information aus der Außenwelt zufließt. Die Einschätzung des wissenschaftlichen Beweismaterials heben Sie sich für den abschließenden, »Diskussion« genannten Teil auf, und hier stellen Sie sich die alberne Scheinfrage, ob das, was Sie an Daten gesammelt haben, tatsächlich irgendetwas besagt.

    Medawar hob hervor, dass diese bis heute gültige Standardprozedur ein völlig falsches Bild vom tatsächlichen Ablauf wissenschaftlicher Arbeit gibt – als würden die Wissenschaftler erst einmal Fakten sammeln und dann verallgemeinernde Schlüsse aus ihnen ziehen. In Wahrheit gehen Wissenschaftler von einer Erwartung oder Hypothese aus, die ihnen überhaupt den Forschungsanreiz gibt. Erst auf solche Erwartungen hin erscheinen bestimmte Beobachtungen als relevant und andere nicht, werden bestimmte Methoden gewählt und andere verworfen, werden bestimmte Experimente durchgeführt und andere eben nicht. Medawar schlug ein ehrlicheres Vorgehen vor, nämlich die Diskussion an den Anfang zu stellen:

    Das wissenschaftliche Vorgehen und die wissenschaftlichen Fakten sollten auf die Diskussion folgen, und die Wissenschaftler sollten sich nicht scheuen einzugestehen, auch wenn dies offenbar vielen von ihnen schwerfällt, dass über Denkwege, die niemand nachzeichnen kann, Hypothesen in ihren Köpfen auftauchen, dass es phantasievolle, ja inspirierende Hypothesen sind, dass es sich eigentlich um Abenteuer des Geistes handelt. [565]

Wie Erwartungen die Ergebnisse färben
    Die in der medizinischen Forschung Tätigen wissen im Allgemeinen recht gut, wie sich ihre Überzeugungen und Erwartungen auf die Ergebnisse ihrer Experimente auswirken können. Man spricht hier vom »Experimentatoreffekt« oder »Experimentator-Erwartungs-Effekt«. Deshalb werden viele klinische Versuchsreihen doppelblind durchgeführt: Weder die Experimentatoren noch die Patienten wissen, wer welche Behandlung bekommt.
    Auch in der experimentellen Psychologie ist der Experimentatoreffekt wohlbekannt. Die klassische Demonstration dieses Prinzips war ein Experiment, bei dem Psychologiestudenten höherer Semester den Rorschachtest bei einer Reihe von Probanden durchführen sollten. Bei diesem Test geht es um das Erkennen von Mustern oder Formen in Tintenklecksen. Die Hälfte der Studenten bekam vor Beginn des Tests den Hinweis, erfahrene Psychologen erhielten von den Testteilnehmern eher Antworten aus dem menschlichen Bereich als aus dem Tierreich. Den übrigen Studenten wurde genau das Gegenteil gesagt. Und tatsächlich stellte sich am Ende heraus, dass in

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