Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
Vom Netzwerk:
sie stehen und schnappte nach Luft.
    Die Brücke hatte vier Fahrbahnen. In der Nähe war eine Kläranlage, die sich die natürliche Strömung zunutze machte. Das Wasser war dunkel, schnell, turbulent und gefährlich; mehr als ein Angler war an der Böschung ausgerutscht und in der Strömung ums Leben gekommen. Doch die Kläranlage hatte ihren Betrieb praktisch eingestellt, auch die Fabriken, die sich in der Umgebung angesiedelt hatten, existierten nicht mehr, und so war hier bis auf die schwarzen, regengepeitschten Strudel alles tot.
    Selbst der niedrige Zaun, der verhindern sollte, dass sich jemand der Gefahrenzone zu weit näherte, war reparaturbedürftig. Ein verblichenes gelbes Schild warnte die Passanten vor der Gefahr. Der Fußweg neben der Brücke wurde kaum benutzt. Es war ein guter Ort für jemanden, dem eine unablässig anwachsende Verzweiflung keine andere Wahl zu lassen schien, als in den rasend dahinströmenden Wassern den Freitod zu suchen.
    Sarah beugte sich keuchend nach vorn und atmete ein paar Mal durch. Dann sah sie auf. Gleich, dachte sie.
    Jeden Moment, Rote Zwei.
    Es war so weit.
     
    Vierzehn Punkte, acht Boards, ein Paar erfolgreich verwandelte Zuspiele, und wir haben mit elf Punkten Vorsprung gewonnen.
    Rote Drei hatte wie gewohnt ihren einsamen Platz auf der Rückbank des Schulbusses eingenommen. Selbst nach ihrem beträchtlichen, geradezu spektakulären Beitrag zum Sieg der Mannschaft war sie auf der Heimfahrt allein. Unmittelbar nach dem Spiel hatte es ein bisschen schulterklopfenden Zuspruch gegeben – »Sauberes Spiel« und »Weiter so« –, doch kaum hatte sich in den Duschen der Gastmannschaft der Dampf verzogen, kaum hatten die Mädchen ihre Sachen gepackt, war Jordans Außenseiterstatus wiederhergestellt, womit sie gerechnet hatte.
    Sie saß auf ihrem Platz und drückte das Gesicht an die Fensterscheibe. Da sie immer noch schwitzte, empfand sie die Kühle an der Stirn als angenehm. Die anderen Mädchen ihrer Mannschaft waren in Gespräche vertieft.
    Jordan hatte, seit sie auf das Internat ging, mindestens fünf, sechs Mal an jener anderen Schule gespielt, und so kannte sie die Route, die der Bus nehmen würde. Sie wusste, wie lange die Fahrt dauern und an welchen Straßen sie vorbeikommen würden.
    Sie machte ein geistesabwesendes Gesicht, als sei sie mit den Gedanken ganz weit weg, während sie in Wahrheit angestrengt nach draußen spähte.
    An der Ampel biegen wir nach rechts ab.
    Fünf Minuten, höchstens.
    Sie merkte, wie sich ihr ganzer Körper anspannte. Die Muskeln an ihren Armen fühlten sich hart an, und ihr war, als würden ihre Beine wie Bänder bis zum Zerreißen in die Länge gezogen. Dieser Grad an Nervosität ähnelte der Stimmung in der Kabine kurz vor einem großen Spiel.
    Jetzt liegt es bei dir. Es lag immer bei dir.
    Zusammen mit der Angst beschlichen sie Zweifel.
    Er gibt erst Ruhe, wenn wir alle tot sind.
    Jordan riss sich vom Fenster los. Der Trainer saß am Steuer. Er fuhr langsam und vorsichtig, da der klobige Kleinbus auf glatter Fahrbahn schwer zu lenken war. Der Assistent neben ihm überflog beim Licht des Armaturenbretts das Statistikblatt des Spiels und las die Zahlen vor. Jordans Mannschaftskameradinnen redeten weiter über Jungen und Partys und Schulfächer und Klausuren und Musik und Hausaufgaben – das Übliche eben, registrierte sie, alles und doch nichts.
    Sie wandte sich wieder dem Fenster zu.
    Jetzt biegen wir links ab, dann kommen wir an den Wohnblocks und der Bodega vorbei, in der sie vermutlich zusammen mit den viel zu teuren Lebensmitteln unter der Theke Drogen verkaufen. Da ist ein Stoppschild, an dem er nur kurz langsamer fahren wird, weil uns diese Abkürzung durch eins der Problemviertel der Stadt führt – eine heikle Sache mit einem Minibus voller reicher, weißer Mädchen. Also gibt er trotz des miesen Wetters an den verlassenen Lagerhallen bis zur Brücke wahrscheinlich sogar ein wenig Gas.
    Sie biss sich auf die Lippen. Jordan hatte das Gefühl, als sähe sie alles bereits Sekunden, bevor es passierte. Der Böse Wolf war zum Greifen nahe, fast, als säße er auf dem Platz neben ihr und sie spüre seinen Atem im Ohr.
    Sowie der Bus schneller fuhr, wurde der Motor lauter.
    Jetzt!, sagte sich Jordan. Jetzt oder nie!
    Sie sog die Lungen voll und entlud sie in einem so schrillen Entsetzensschrei, dass er in der Enge des Busses zu explodieren schien.
     
    Sarah warf einen letzten Blick zurück auf die Straße, dann sprang sie über

Weitere Kostenlose Bücher