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Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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den Zaun.
    Oberhalb des schwarzen, strudelnden Wassers zögerte sie einen Moment. Auf Nimmerwiedersehen, Rote Zwei, war ihr letzter Gedanke.
     
    Der Kleinbus schlingerte bedenklich über die leere Fahrbahn, als der Trainer den durchdringenden Schrei vom Rücksitz hörte und um ein Haar die Kontrolle über das Fahrzeug verlor. Jordan war halb aufgesprungen. Außer sich deutete sie abwechselnd mit dem Finger aus dem Fenster in die hereinbrechende Nacht und fuchtelte wild mit den Armen in der Luft.
    »Sie ist runtergesprungen! Sie ist runtergesprungen! Hilfe! Hilfe! O mein Gott! Die Frau! Ich hab gesehen, wie sie da neben der Brücke stand. Und dann ist sie auf einmal gesprungen!«
    Der Trainer brachte den Kleinbus mit Mühe zum Stehen und schaltete sein Standlicht ein. »Alle bleiben auf ihren Plätzen!«, brüllte er. Der Assistent kämpfte mit seinem Sitzgurt und versuchte, die Tür auf seiner Seite zu öffnen. »Jemand muss den Notruf wählen!«, rief er, während er hinaussprang und zu der Betonmauer an der Brücke lief, um die brodelnde, tintenschwarze Brühe in der Tiefe abzusuchen. Die anderen Mädchen reckten die Hälse in die Richtung, in die Jordan gedeutet hatte, und riefen wild durcheinander – eine Kakophonie der Angst und Panik. Eine hatte ein Handy aus dem Rucksack gezogen und tippte hektisch die Notrufnummer ein, um Hilfe zu holen. Jordan sackte, den Kopf immer noch an der Scheibe, stöhnend wieder auf ihren Sitz. Dann schluchzte sie hemmungslos. Zwischen ihren tiefen, verzweifelten Lauten wiederholte sie unaufhörlich: »Ich hab’s gesehen. Gott! Ich hab’s gesehen. Sie ist gesprungen, sie ist da einfach runtergesprungen. Ich hab sie springen sehen …«

[home]
    28
    M rs. Böser Wolf waren die emotionalen Turbulenzen, denen sie sich hilflos ausgeliefert sah, nur allzu vertraut. Die naive Hoffnung, ihr Leben könnte zur Normalität zurückkehren und so sein wie früher, hielt der Erkenntnis, dass sich unwiderruflich alles geändert hatte, nicht stand. Sie hatte eine lebensbedrohliche Krankheit überstanden und dabei befürchtet, dass ihr eigener Körper sie jeden Moment im Stich lassen würde – sie hatte sich der Möglichkeit gestellt, nicht mehr lange zu leben.
    Sie hatte es überstanden.
    Bei dem, was sie jetzt erwartete, war sie sich nicht so sicher.
    Kann mich die Wahrheit umbringen?
    Sie kannte die Antwort auf diese Frage.
Selbstverständlich.
    Sie war so wütend auf sich, sie tobte innerlich.
Vollidiot! Vollidiot! Vollidiot! Wieso musstest du diese Bürotür aufmachen! Bis dahin warst du glücklich und zufrieden. Hüte dich, je wieder eine verschlossene Tür aufzumachen! Nie wieder, hast du verstanden?
    Ihr gegenüber ging der Böse Wolf die Post durch und warf so gut wie alles in den Papierkorb; hier und da verzog er das Gesicht, wenn zwischen den Werbebroschüren, Katalogen und Briefen mit der Kennzeichnung »wichtig«, hinter denen nichts weiter steckte als trügerische Kreditkartenangebote, vielleicht auch Spendenaufrufe für einen guten Zweck oder eine politische Partei, eine Rechnung auftauchte. Mrs. Böser Wolf entging nicht, dass er ein paar der Aufrufe behielt, und sie wusste, dass er kleinere Zuwendungen an Krebs- und Herzforschung machte. Nichts weiter als ein paar Dollar hier, ein paar Dollar dort, über die er witzelte: »Nur der Versuch, uns beiden einen Platz im Himmel zu sichern.«
    Sie war sich nicht mehr sicher, ob der Himmel für sie beide noch eine Option war.
    »Und? Machen wir die Glotze an?«, fragte der Böse Wolf, während er mit schwungvoller Geste den letzten Brief zerknüllte.
    Eigentlich lautete, wie Mrs. Böser Wolf sehr wohl wusste, die richtige Antwort
ja.
Daraufhin würden sie ihre gewohnten Plätze einnehmen und sich durch die üblichen Sender zappen, um bei einer der vertrauten Sendungen hängenzubleiben. Es war ungeheuer verlockend, einfach nur ja zu sagen und es sich hinter dem Rücken ihres Mannes wieder in ihrem vertrauten Leben bequem zu machen. Mit Popcorn.
    Sie war hin- und hergerissen. Eine mächtige innere Stimme legte ihr dringend ans Herz, egal was passiert war, den Mund zu halten und die Dinge einfach laufen zu lassen, bis sich das Leben, das sie so glücklich machte, von selbst wieder einstellte. Eine viel leisere Stimme beharrte darauf, dass nichts auf der Welt so unerträglich war wie die Ungewissheit. Mit der Krankheit hatte sie diese Erfahrung gemacht, und jetzt fragte sie sich auf einmal, ob sie je wieder die Hand ihres Mannes

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