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Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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halten könne, ohne dass quälende Zweifel an ihr nagten.
    Und während dieser Zwiespalt noch in ihr tobte und ihr vor Angst fast schwindelig wurde, hörte sie sich sagen: »Es gibt da etwas, worüber wir reden müssen.«
    Ein bisschen kam es ihr so vor, als hätte eine Fremde den Raum betreten und eine andere Mrs. Böser Wolf spräche laut vernehmlich und in einem theatralischen, unheilvollen Ton. Am liebsten hätte sie diesen Eindringling angeschnauzt:
Halt den Mund! Wie kannst du es wagen, dich in Angelegenheiten einzumischen, die nur meinen Mann und mich etwas angehen?
    Der Böse Wolf drehte sich langsam zu ihr um.
    »Reden?«, fragte er.
    »Ja.«
    »Ist was passiert? Geht’s dir nicht gut? Soll ich dich zum Arzt fahren?«
    »Nein, mir geht’s gut.«
    »Gott sei Dank, hast du mir einen Schrecken eingejagt! Hast du Probleme in der Schule?«
    »Nein.«
    »Verstehe. Also, reden wir. Dann muss es wohl was anderes sein. Was hast du auf dem Herzen?«
    Er klang, wenn überhaupt, ein wenig verwirrt. Mit einem leichten Achselzucken und einer Handbewegung forderte er sie stumm auf fortzufahren.
    Mrs. Böser Wolf fragte sich, was sie für eine Miene machte. War sie blass? Standen ihr Sorgenfalten auf der Stirn? Zitterte ihr die Lippe, oder zuckte ein Augenlid? Wieso sah er ihr die Angst und Hilflosigkeit, die ihr mit Sicherheit ins Gesicht geschrieben standen, nicht an? Sie glaubte, keine Luft mehr zu bekommen, und fürchtete, keuchend umzufallen.
    »Ich …«, fing sie an und kam nicht weiter.
    »Ja? Was?«, versuchte er, ihr auf die Sprünge zu helfen. Immer noch schien der Böse Wolf nicht zu merken, dass seine Frau vor Seelenqual in einem rotglühenden Schraubstock steckte.
    »Ich habe gelesen, was du gerade schreibst«, sagte sie.
    Augenblicklich wich das Grinsen aus dem Gesicht ihres Mannes. »Was?«
    »Du hast die Schlüssel zu deinem Arbeitszimmer dagelassen, als wir gestern Abend die Autos getauscht haben. Ich bin reingegangen und hab ein paar von den Seiten gelesen, die neben deinem Computer lagen.«
    »Mein neues Buch«, sagte er.
    Sie nickte.
    »Dazu hattest du kein Recht«, sagte der Böse Wolf. Sein Ton hatte sich schlagartig gewandelt: Er klang nicht mehr nachsichtig amüsiert, sondern nüchtern und ausdruckslos, wie ein ständig wiederkehrender Missklang auf einem ungestimmten Klavier. Sie hatte damit gerechnet, dass er vor Wut und Empörung schreien würde. Der Gleichmut in seiner Stimme machte ihr Angst. »Mein Arbeitszimmer, das, woran ich arbeite, das gehört mir. Das ist privat. Ich bin nicht bereit, es irgendjemandem zu zeigen. Nicht einmal dir.«
    Mrs. Böser Wolf hatte schon eine Entschuldigung auf den Lippen – es tut mir leid, kommt nicht wieder vor. Sie war plötzlich durcheinander. In diesem Moment war ihr nicht klar, wer von ihnen beiden den schlimmeren Fehler begangen hatte. Sie selbst, indem sie die Privatsphäre ihres Mannes missachtet hatte, oder er – weil er möglicherweise ein Mörder war.
    Doch sie schluckte alle ihre Entschuldigungen wie sauer gewordene Milch herunter.
    »Wirst du sie töten?«, fragte sie.
    Sie konnte nicht glauben, dass sie diese Frage stellte. Sie war mehr als direkt. Und was, wenn er nun ja sagte? Was hieß das für sie? Und konnte sie ihm glauben, falls er es verneinte?
    Er lächelte.
    »Was werde ich deiner Meinung nach tun?«, fragte er. Erneut hatte sein Ton gewechselt. Jetzt sprach er wie jemand, der eine Einkaufsliste durchgeht.
    »Ich glaube, du hast vor, sie umzubringen. Ich verstehe nicht, wieso.«
    »Was du gelesen hast, mag diesen Eindruck vermitteln«, antwortete er.
    »Es sind drei …«, fing sie an, verstummte jedoch, als sie nicht mehr sagen konnte, wie genau die Frage lauten sollte.
    »Ja. Drei. Es ist eine einmalige Situation«, antwortete er auf etwas, das sie nicht gefragt hatte.
    »Doktor Jayson und dieses Mädchen an meiner Schule, Jordan …«
    »Und noch eine Frau«, unterbrach er sie. »Sarah. Du kennst sie nicht. Aber sie ist etwas Besonderes. Sie sind alle drei etwas ganz Besonderes.«
    Dieses Wort,
Besonderes,
hatte für sie einen falschen Klang, auch wenn sie nicht wusste, wieso und warum. Sie schüttelte den Kopf.
    »Ich versteh’s nicht«, sagte sie. »Ich versteh rein gar nichts.«
    »Wie viel hast du gelesen?«, fragte er.
    Mrs. Böser Wolf zögerte. Die Unterhaltung lief nicht so wie erwartet. Sie hatte ihren Mann zur Rede gestellt und ihn gefragt, ob er ein Mörder sei, und dieses Gespräch hätte Klärung bringen

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