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Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Einwegbehälter für Nadeln, benutzte Probebecher und sonstiges Material, an dem möglicherweise irgendein gefährlicher Virus oder tödliche Bakterien hafteten.
    »Tut mir leid, Cynthia«, flüsterte sie. »Ich wünschte, ich hätte dich gekannt.«
    Was von jetzt an der Fall ist, fügte sie in Gedanken hinzu. Sie rollte die Akte fest zusammen, steckte sie in den Plastikbeutel, dessen Öffnung sie sorgfältig versiegelte, bevor sie ihn in den Behälter warf, der dem besonderen Zweck diente, andere vor einer Ansteckung zu bewahren.
     
    Rote Zwei tanzte.
    Mit einem unsichtbaren Partner legte sie einen Walzer hin, dann zu elektrischem Beat einen Tango. Wie bei einer kunstvollen elisabethanischen Quadrille schritt sie majestätisch durch den Raum und verneigte sich vor leeren Wänden. Als die Musik wechselte, zuckte ihr geschmeidiger Körper, und sie schwang die Hüften wie in der Disko.
Dancing with the Stars,
dachte sie. Nein.
Die mit dem Wolf tanzt.
Sie parodierte lächerliche Tänze aus den sechziger Jahren wie
The Frug
und
The Watusi,
die ihre Eltern in übermütigen Momenten vorgeführt hatten. Einmal legte sie sogar eine Macarena hin und kreiste verführerisch mit den Hüften. Als sie sich allmählich verausgabt hatte, wechselte sie zu Ballerinaposen, hob langsam die Arme über den Kopf und vollführte
Schwanensee
-Pirouetten. Als Teenager hatte sie einmal eine Aufführung gesehen. Hinreißend. Traumhaft schön. Es gehörte zu den Erinnerungen, die ein empfängliches fünfzehnjähriges Mädchen nicht vergaß. Sie hatte sich vorgestellt, eines Tages ihre Tochter zu einer ähnlichen Aufführung mitzunehmen. Vorbei. In der kleinen Welt des Kellers hob sie noch einmal die Arme über den Kopf und versuchte, wie der weiße Schwan im Ballett auf den Zehenspitzen zu tanzen, doch das war unmöglich.
    Ihre Musik war ungeordnet und widersprüchlich. Keiner der Songs, die ihr in den Ohren dröhnten, passte zu ihren Bewegungen. Rock and Roll hatte nichts mit Squaredance zu tun, doch genau das hörte und tanzte sie.
    Rote Drei hatte ihr einen iPod mit mehreren Playlists überlassen, die sie als
Wartemusik
gekennzeichnet hatte. Sie kannte längst nicht alle Musiker und Sänger der Sammlung – wer zum Teufel waren
The David Wax Museum
oder
The Iguanas
oder auch Silina Musango? Wer
The Gourds?
Dennoch war die Musik, die Rote Drei für sie ausgesucht hatte, unwiderstehlich, sie machte Mut und gute Laune, und ihr gefielen die fröhlichen Rhythmen, die wilde Energie in jedem der Songs.
    Sarah erkannte, dass Rote Drei versuchte, ihr zu helfen.
Verdammt einfühlsam von ihr. Sie wusste, dass ich nach meinem Selbstmord ein bisschen einsam und desorientiert sein würde.
    Kluges Mädchen.
    Rote Drei hatte eine weitere Playlist zusammengestellt, doch die hörte sich Sarah nicht an, weil sie spürte, dass die Zeit dafür noch nicht reif war. Sie wusste, dass sie dort eine vollkommen andere Zusammenstellung erwartete. Diese Sammlung trug den Titel
Killer-Musik.
    Als sie schließlich erschöpft war, zog sich Sarah die Ohrstöpsel heraus und ließ sich auf den Zementboden in Karens Keller fallen. Er kühlte ihr die Wange. Es war ihr egal, dass sie sich, schweißgebadet, wie sie war, in dem staubigen, dreckigen Raum schmutzig machte. Der Brenner in der Ecke, der das Haus über ihr heizte, verbreitete eine stickig abgestandene Luft. Nirgends war ein Fenster nach draußen, doch das gab ihr das Gefühl, sicher versteckt zu sein, so dass der Böse Wolf sie, selbst wenn er vor der Haustür parkte, nicht sehen konnte.
    Für einen Moment überlegte sie, wie es sich anfühlen würde, wenn sie die Glühlampe an der Decke ausknipste, die mit ihrem schwachen Licht den Raum erfüllte, und sie dachte an die tiefschwarzen Wasserstrudel zu ihren Füßen, in die sie sich vermeintlich gestürzt hatte.
    Als sie danach zu der Stelle gerannt war, an der sie mit Rote Eins verabredet war, hatte sie sich eingebildet, den schrillen Schrei von Rote Drei zu hören.
Jede Wette, dass sie überzeugend war.
    Sie rollte sich zusammen und schlang die Arme um die Unterschenkel.
    Sarah ist gestern Abend gestorben, dachte sie. Abschiedsbrief und ein letztes Lebewohl. Sie werden mich neben meinem Mann und meiner Tochter bestatten. Nur dass ich es nicht bin, sondern ein leerer Sarg.
    Sie wusste, dass sie gar keine andere Wahl hatte, als eine neue Identität anzunehmen; ob ihr die Aussicht gefiel, stand auf einem anderen Blatt.
    Doch bis zu ihrer Wiedergeburt wäre sie nur noch

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