Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
Vom Netzwerk:
Tagen einige weit fundamentalere Gesetze und Regeln in den Wind schreiben würde. Als sie beispielsweise am Laptop saß und damit begann, sich aus den Informationen von Rote Eins über Cynthia Harrison eine neue Identität zu basteln, versuchte sie, das geheim zu halten, bis sie merkte, dass die Mitarbeiterinnen im Frauenhaus ausgesprochen versiert darin waren, aus dem elektronischen Äther eine völlig neue Person zu erschaffen.
    Im null Komma nichts hatten sie ihr geholfen, aus der kleinen Stadt, in der Cynthia Harrison das Licht der Welt erblickt hatte, die Geburtsurkunde der Toten zu bekommen und sie anschließend illegal beglaubigen zu lassen. Simsalabim – schon hatte sie ein offizielles Dokument. Es folgte der Antrag auf einen neuen Sozialversicherungsausweis und einen Ersatzführerschein – beides schwindelerregende Taschenspielereien am Computer. In der Filiale einer großen überregionalen Bank – nichts Lokales, das man zurückverfolgen konnte – wurde mit ein wenig Geld, das Karen beigesteuert hatte, ein Konto für sie eingerichtet.
    Während sich Sarah langsam, aber sicher in Luft auflöste, nahm die neue Cynthia immer konkretere Gestalt an.
    Nicht zum ersten Mal, erklärte ihr die Leiterin des Hauses, bestand für eine misshandelte Frau der einfachste Ausweg darin, jemand anderes zu werden. Die örtliche Polizei wusste über diese Nebentätigkeit des Frauenhauses Bescheid, ohne etwas dagegen zu unternehmen. Es herrschte die stille Übereinkunft, dass die Cops wegschauten, solange es darum ging, eine Gewalttat zu verhindern.
    In erster Linie bot das Haus ein Versteck.
    In zweiter bot es Schutz.
    Kaum hatte Karen sie vor der Haustür abgesetzt, war Sarah mit offenen Armen und ermutigenden Worten empfangen worden. Bevor ihr ein schlichtes, helles Zimmer im dritten Stock des alten viktorianischen Hauses zugewiesen wurde, hatte sie im Hauptbüro die Leiterin kennengelernt. Sie stellte Fragen, taktvolle, zurückhaltende Fragen über das Ausmaß der Gefahr, die von ihrem vermeintlichen Ehemann ausging.
    Sarah verlor kein Wort über Rote Eins, Rote Zwei und Rote Drei. Auch den Bösen Wolf erwähnte sie mit keinem Wort. Vielmehr hielt sie sich an die Geschichte, die Karen für sie umrissen hatte: misshandelt und verfolgt.
    Dann fragte die Frau: »Sind Sie bewaffnet?«
    Fast hätte sie sich vom ersten Impuls leiten lassen und von der Schusswaffe in ihrer Handtasche nichts gesagt. Doch nach all den Lügen bereitete ihr diese zusätzliche Unaufrichtigkeit ausgesprochenes Missbehagen, und so antwortete sie: »Ich habe einen Revolver gestohlen.«
    »Lassen Sie mal sehen«, hatte die Leiterin gesagt.
    Sarah hatte die Waffe hervorgekramt und sie ihr, mit dem Kolben zuerst, in die Hand gedrückt. Die Leiterin hatte mit geübtem Griff die Trommel aufgeklappt und die Patronen herausgeholt. Fast andächtig hatte sie die Munition in der Hand gehalten und mit dem Finger die glatte Bronzeoberfläche gestreichelt, bevor sie den Revolver wieder lud, zielte, leise »Peng!« sagte und Sarah die Faustwaffe zurückreichte.
    »Beachtliches Ding«, hatte sie gesagt.
    »Ich habe noch nie damit geschossen«, hatte Sarah geantwortet.
    »Also, das lässt sich ändern«, entgegnete die Leiterin. »Wir müssen nur streng auf die Kinder achten, die mit ihren Müttern hier sind. Wir wollen ja nicht, dass es einen Unfall gibt. Und die älteren Kinder, ich meine, die acht-, neun- und zehnjährigen, könnten in Versuchung kommen, weil sie solche Angst davor haben, dass eines Nachts irgendwelche Männer hier auftauchen.«
    Dann griff sie in ihren Schreibtisch, holte ein Abzugsschloss heraus und reichte es Sarah. »Die Kombination lautet sieben sechs sieben«, erklärte sie. »Leicht zu merken: Die numerische Entsprechung zu SOS . Sind Sie überhaupt im Umgang mit einer Waffe geübt?«
    Wieder entschied sich Sarah für die Wahrheit, und diesmal fiel es ihr nicht schwer. »Nein. Ehrlich gesagt nicht.«
    Die Leiterin schmunzelte. »Ich bringe es Ihnen bei«, sagte sie. »Bedeutend besser zu wissen, was man tun muss, und es nicht tun zu müssen, als nicht zu wissen, was man tun muss, wenn man keine Wahl hat.«
    Bei diesen Worten stand für Sarah fest, dass sie für den Rest der Zeit als Rote Zwei genau das beherzigen würde.

[home]
    33
    H intertür. Blumentopf. Ersatzschlüssel.
    Karen hatte einen Block von Sarahs leerstehendem Haus entfernt geparkt und bis zum Eintritt der Dunkelheit gewartet, war zwei weitere Blocks in die

Weitere Kostenlose Bücher