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Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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nicht, hielt sie die Kamera hoch und filmte die Umgebung. Sie wusste, dass ein ruckelndes, unprofessionelles Video herauskäme, von dem einem schwindelig werden konnte, dennoch würde es den anderen beiden vermutlich dabei helfen, das Viertel kennenzulernen.
    Nur wenige Häuser von seinem Domizil entfernt fuhr sie an den Bordstein. Sie vergewisserte sich, dass in beiden Richtungen niemand auf der Straße war. Observation war wichtig, doch nicht annähernd so sehr wie Geheimhaltung und das Überraschungsmoment. Die Aufnahmen vom Haus machte sie aus sicherer Entfernung.
    Karen merkte, wie ihr das Herz bis zum Halse pochte, und sie ermahnte sich: Nachher darf dir das nicht passieren. Ihr zitterten die Hände, und sie sah voraus, wie die anderen Roten, wenn sie ihnen das verwackelte Video zeigte, merken würden, wie groß ihre Angst war, und das beunruhigte sie umso mehr, da sie jetzt einen eisernen Willen brauchte.
    So geht das nicht, dachte sie. Ich bin diejenige, die alles unter Kontrolle haben sollte.
    Ihren Doktortitel trug sie nur mehr für das Spezialgebiet Zweifel. Vielleicht auch die Fachrichtung Tod.
    Ein Stück die Straße hinunter sah sie einen Teenager aus einem der Häuser kommen und in einen unscheinbaren, silberfarbenen Pick-up steigen. Der Junge hatte nicht das Geringste mit ihr und der Situation zu tun, doch er machte ihr trotzdem so viel Angst, dass sie sich wegduckte und, kaum dass er an ihr vorbeigerast war, Vollgas gab und so schnell sie konnte aus dem Viertel fuhr. Die ganze Zeit hatte sie das Gefühl, dass ihr jemand folgte, mehr noch, dass sich Augen in ihren Rücken und den Hinterkopf brannten. Erst als zwischen ihr und dem Haus einige Meilen lagen, normalisierte sich ihr Atem, und sie merkte, dass sie in eine ihr völlig unbekannte Gegend geraten war.
    Sie hatte sich verfahren.
    Sie brauchte fast eine Stunde, bis sie wieder auf Straßen kam, die sie kannte, da sie nicht daran dachte, anzuhalten und jemanden nach dem Weg zu fragen. Eine weitere Stunde verging, bis sie den Leihwagen zurückgegeben und mit ihrem eigenen Auto im Dunkeln den Heimweg angetreten hatte.
    Sie bog in ihre Einfahrt und tauchte in das Wäldchen ein, das ihr Haus von der Straße aus verbarg. Mehr als je zuvor hasste sie die isolierte Lage ihres Hauses. Sie hielt davor an.
    Die automatische Beleuchtung ging an.
    Sie war drauf und dran, den Motor abzuschalten und ins Haus zu eilen, doch plötzlich zögerte sie und geriet fast in Panik, als ihr bewusst wurde, dass ihr Refugium, in dem sie sich geborgen fühlen sollte, zugleich ihre größte Bedrohung war.
    Im selben Moment legte Karen energisch den Rückwärtsgang ein und wendete mit quietschenden Reifen.
    Sie fuhr wie bei einer Verfolgungsjagd, auch wenn auf den von ihr gewählten Landstraßen kein anderes Fahrzeug zu sehen war. Es kam ihr vor, als wäre es dem Wolf gelungen, alle anderen zu töten außer ihr. Sie war allein auf der Welt, die letzte Überlebende, die auf das Unvermeidliche wartete. Sie schrie aus Leibeskräften, und ihre schrille Stimme hallte so laut durch das Wageninnere, dass es ihr noch mehr Angst einflößte.
    Als sie ihre Gefühle halbwegs unter Kontrolle hatte, wechselte sie auf einen der größeren Highways. Binnen Sekunden sah sie ein Schild: Tankstelle-Raststätte-Hotel.
    Das Motel, das an der Ausfahrt lag, gehörte zu einer landesweiten Kette. Der Parkplatz war nicht voll besetzt. Es stand nur eine einzige Angestellte an der Rezeption. Sie wirkte jung, vielleicht eine Praktikantin, die nach dem Collegeabschluss eine Ausbildung in Betriebsführung machte und zu deren Aufgaben es gehörte, auch ihre Überstunden mit einem unerschütterlichen, gewinnenden Lächeln zu absolvieren, egal wie müde sie war. Die junge Frau erledigte die üblichen Formalitäten und fragte Karen, ob sie ein Kingsize-Bett oder zwei Doppelbetten wünschte. Karen flüchtete sich in nervösen Sarkasmus. »Ich kann nicht in zwei Betten gleichzeitig schlafen«, antwortete sie.
    Die junge Frau lachte. »Da haben Sie recht. Also ein Kingsize?«
    Karen reichte ihr die Kreditkarte. Das war gefährlich. Es dokumentierte ihren Aufenthalt, doch daran war nun nichts zu ändern.
    »Eine Nacht?«, fragte die junge Frau.
    Karen rieselte es kalt über den Rücken. »Nein, zwei. Geschäftlich.«
    Die Frau am Empfang schien nicht zu bemerken, dass Karen kein Gepäck dabeihatte, sondern nur eine Computertasche.
    In dem kleinen, bedrückend ordentlichen und keimfreien Motelzimmer gönnte sich

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