Der Wolf aus den Highlands
eine Grimasse. »Ich fürchte, mein Herz bereitet sich darauf vor, etwas sehr, sehr Törichtes zu tun.«
Als sie sah, dass Mungo eingeschlafen war, schlüpfte sie vorsichtig aus dem Bett. Der Kater blinzelte kaum, obwohl er sein gemütliches Kissen verloren hatte. Es war schon traurig, wenn man seine Sorgen mit einem Kater teilen musste, dachte Annora, als sie sich eilig wusch und anzog. Am besten unterhielt man sich mit anderen Frauen über Küsse und Männer, aber Donnell hatte dafür gesorgt, dass sie unter den Frauen von Dunncraig keine Vertraute hatte.
Doch sie wollte nicht in Trübsinn verfallen wegen all dem, was sie nicht hatte. Entschlossen machte sie sich auf den Weg, um Meggie einen guten Morgen zu wünschen. Das kleine Mädchen war munter und redselig, als Annora ins Kinderzimmer kam. Sie sprudelte über von Plänen, die sie für diesen Tag gemacht hatte. Annie, die Magd, gab Annora leise zu verstehen, dass ihre Gäste im Morgengrauen aufgebrochen waren. Annora lächelte erleichtert darüber, dass sie an diesem Morgen ihr Frühstück ohne die Chisholms genießen konnte.
Nachdem sie Meggie eingeschärft hatte, der jungen Annie zu gehorchen, die ihr so ein schönes Frühstück bereitet hatte, ging Annora hinunter in die Große Halle, um selbst zu frühstücken. Sie fragte sich, ob einer der Gründe für ihre Freude der war, dass sie die Chisholms jetzt bestimmt ein paar Monate nicht mehr sehen würde. Aus dem wenigen, was sie mitbekommen hatte, und der Tatsache, dass es keine hastig vollzogene Zeremonie gegeben hatte, schloss sie, dass die Verlobung von Halbert Chisholm und Meggie noch nicht endgültig besiegelt worden war. Offenbar wollte Donnell den Chisholms den Köder noch ein bisschen länger vor die Nase halten.
Das Abendessen war eine wahre Folter für Annora gewesen, eine, die sie bestimmt nicht so bald vergessen würde. Sie hatte jeden Moment damit gerechnet, dass Donnell Meggies Verlobung verkünden würde. In dem Gespräch, das Annora belauscht hatte, hatte es geklungen, als ob alles schon fest beschlossen wäre, doch jetzt war sie sich nicht mehr sicher. Zu gerne hätte sie gewusst, was die Männer gegeneinander in der Hand und worauf sie es wirklich abgesehen hatten. Doch wie sollte sie das herausfinden? Sie war zwar versucht, Donnell einfach zur Rede zu stellen und Antworten von ihm zu fordern, aber sie wusste, dass das nicht so einfach sein würde. Ja, es wäre die reine Torheit zu glauben, eine Auseinandersetzung mit Donnell könne zu etwas Gutem führen; und ebenso töricht wäre es zu glauben, dass er sich in aller Ruhe ihre Meinung anhören und sie hinnehmen würde.
Als Annora die Große Halle betrat, seufzte sie erleichtert auf. Die Chisholms waren wirklich weg. Weit und breit war nichts von ihnen zu sehen, und auch Egan saß nicht an der Hohen Tafel. Nur Donnell war da und unterhielt sich mit Rolf. Den Mann zu erblicken, den sie kürzlich so innig geküsst und an den sie sich so heftig geklammert hatte, brachte sie zwar ein wenig aus der Fassung, doch es war besser, als Egan und die anderen wiederzusehen. Die kleine Bank, auf der sie gewöhnlich saß, war wundervoll leer. Sie trat jedoch nur vorsichtig näher, denn sie wusste nicht, ob Donnell sie dabeihaben wollte, wenn er mit Master Lavengeance über dessen Arbeit sprach. Zu ihrer Erleichterung warf Donnell nur einen kurzen Blick auf sie, bevor er sein Gespräch fortsetzte. Sie setzte sich und bediente sich so unauffällig wie möglich selbst.
Allerdings fiel es ihr schwer, so zu tun, als würde sie von dem Gespräch in ihrer Nähe nichts mitbekommen. Donnell sprach von den Stühlen, die er als Nächstes haben wollte. Er erklärte, vor Kurzem habe er ein paar Stühle im Keep eines reichen Mannes gesehen, und nun wolle er etwas Ähnliches für seine Hohe Tafel. Annora konnte ihre Überraschung kaum verbergen, beinahe hätte sie ihn mit offenem Mund angestarrt, doch sie füllte ihn rasch mit Hafergrütze.
Ein kurzer Blick auf Master Lavengeance führte sie in Versuchung, mit ihrer Gabe herauszufinden, welche Gefühle ihn bewegten. Seine Miene gab nicht preis, was er von Donnells kostspieligen Plänen hielt, doch Annora hätte wirklich zu gern gewusst, was sich hinter dieser glatten, ruhigen Fassade abspielte. Doch als sie es schließlich zuließ, ihn zu lesen, bedauerte sie es sogleich. Die Wut, die sie schon früher bei ihm gespürt hatte, tobte jetzt mit voller Wucht in ihm. Annora wunderte sich, dass sich nichts davon auf
Weitere Kostenlose Bücher