Der Wolf aus den Highlands
Frau machen wollte.
Schließlich verscheuchte er diese Gedanken und konzentrierte sich auf seine Arbeit. Das Schnitzen bescherte ihm ein wenig Frieden. Er war froh, dass seine Anspannung etwas nachließ. Erst als er innehielt, um sein Werk zu begutachten, erstarrte er wieder: An der anderen Ecke der Kamineinfassung, an der er gerade gearbeitet hatte, fand sich das Gesicht einer Frau. Es war Annoras Antlitz, jede weiche Kontur davon war ihm schon so vertraut wie sein eigenes Gesicht.
»Schöne Arbeit, die Ihr da gefertigt habt, Junge«, sagte Big Marta hinter ihm. James fluchte halblaut. Dieses Weib hatte ein ausgesprochenes Geschick, im falschen Moment aufzutauchen.
»Aye, das sollte genügen«, murmelte er und hoffte, die Frau würde es dabei belassen.
»Das Gesicht dort kommt mir sehr bekannt vor.«
»Ach ja?«
»Aye, es sieht genauso aus wie das unserer kleinen Annora.«
»Na ja, sie hat ein hübsches Gesicht.«
Big Marta lachte, gab ihm einen freundschaftlichen Klaps auf den Rücken und ging. »Ach, Junge, kämpft nicht so dagegen an«, sagte sie noch.
James lehnte stöhnend den Kopf an die Schnitzerei, die nun dauerhaft ins Holz der Kamineinfassung geschnitten war, die die Feuerstelle im Schlafzimmer des Lairds zieren würde. Wahrscheinlich würde er noch ein wenig länger gegen etwas ankämpfen, was immer deutlicher zutage trat. Es lag in der Natur der Männer, sich gegen eine dauerhafte Bindung zu wehren. Doch leider war er sich ziemlich sicher, dass er den Kampf bereits verloren hatte.
6
Beim Aufwachen fiel Annoras Blick als Erstes auf ihren Kater, der auf ihrer Brust saß und sie anstarrte. Sie schenkte dem großen, grauen Tier ein schläfriges Lächeln und kraulte es hinter den zerfetzten Ohren. Der Kater war ein paar Tage auf Wanderschaft gewesen, und sie befürchtete, dass es in ein paar Monaten einen Wurf Katzen geben würde. Sie würde sich wohl auf die Suche nach ihnen begeben müssen, um sie davor zu bewahren, ertränkt zu werden.
Mungo, benannt nach einem Jungen, mit dem sie in ihrer Kindheit befreundet gewesen war, war ein sorgfältig gehütetes Geheimnis. Annora hatte nicht den geringsten Zweifel, dass Donnell die Liebe zu ihrer Katze gegen sie verwenden würde, sobald er etwas davon erfuhr. Er hatte ja bereits bewiesen, dass er ihre Gefühle für Meggie ausnutzen konnte, um ihren Gehorsam zu erzwingen.
Sie richtete sich auf und nahm ein Tuch von einem kleinen Brett, auf dem sie ein paar Bissen Braten und Reste eines hart gekochten Eis für Mungo beiseitegeschafft hatte. Sie stellte das Brett aufs Bett neben sich. Mungo machte sich laut schnurrend darüber her, während sie ihm gedankenverloren den Rücken streichelte und versuchte, die letzten, hartnäckigen Spuren eines langen, tiefen Schlafes abzuschütteln.
Obwohl sie so tief geschlafen hatte, konnte sie sich merkwürdigerweise noch sehr lebhaft an einen Traum erinnern – einen Traum, den sie schon viele Male gehabt hatte. Diesmal jedoch beobachtete sie der verflixte Wolf mit den grünen Augen, während sie einen großen, dunkelhaarigen Mann küsste. Einen Mann, dessen Augen dieselbe Farbe hatten wie die des Wolfes, dachte sie stirnrunzelnd. Der Kuss, den sie mit Rolf geteilt hatte, hatte ihren Träumen eine neue Wärme verliehen, doch erst jetzt merkte sie, dass der Mann dieselben Augen hatte wie der Wolf, der sie nun schon seit gut drei Jahren in ihren Träumen heimsuchte.
»Sehr seltsam, Mungo«, murmelte sie, als der Kater sich zufrieden an sie kuschelte und den Kopf auf ihre Brust legte. »Glaubst du, dass meine Träume so etwas wie eine Prophezeiung sind? Nein, das kann nicht sein. Ich habe bei Gott schon genug Ärger, wenn ich versuche, nicht das zu fühlen, was alle um mich herum fühlen. Auf die Gabe des Sehens kann ich wahrhaftig verzichten.«
Mungo gähnte und begann, sich träge die Pfote abzuschlecken.
»Er hat mich geküsst, Mungo. Ich weiß schon, ich bin nicht zum ersten Mal geküsst worden, und ein- oder zweimal wollte ich es sogar. Aber noch nie hat mich jemand geküsst wie dieser Mann. Und außerdem habe ich noch nie von einem Mann geträumt, der mich geküsst hat. Von den meisten würde ich ohnehin nicht gerne träumen, aber ich gebe zu, der eine oder andere war mir nicht unangenehm. Doch selbst die haben es nicht geschafft, dass ich von ihnen träumte. Obwohl mich Rolf nur ein einziges Mal geküsst hat, werde ich die Erinnerung nicht los, sie drängt sich sogar in die Träume von meinem Wolf.« Sie schnitt
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