Der Wolf aus den Highlands
wieder einmal, damit Ihr mir helft, den Mann zu verstehen.«
Seiner Stimme war zu entnehmen, wie ungern er eine solche Bitte äußerte; dennoch wurden Annora vor Erleichterung die Knie weich. »Wie Ihr wünscht, Cousin. Kann ich jetzt zu Meggie gehen?«
»Aye, fort mit Euch.«
Sie knickste noch kurz vor den beiden Männern, dann entfernte sie sich, so schnell sie konnte. Es war ihr nicht recht, dass Donnell ihre Hilfe haben wollte, denn seine Abneigung, sie darum bitten zu müssen, würde mit jedem Mal wachsen. Es war wohl am klügsten, bald einmal mit dem Holzschnitzer unter vier Augen zu reden. Natürlich hatte es sie auch ein wenig belustigt mitzubekommen, wie Donnell beschimpft wurde, aber sie wusste, dass dieser kurze Moment der Belustigung sie teuer zu stehen kommen konnte. Und wenn Donnell je herausfand, was Master Lavengeance wirklich gesagt hatte, würde es diesen noch teurer zu stehen kommen. Der letzte Mann, der Donnell beleidigt hatte, war in einem Käfig, der an die Zinnen von Dunncraig aufgehängt worden war, langsam und qualvoll gestorben. Schon allein der Gedanke, dass dem gut aussehenden Holzschnitzer ein ähnlich grausames Schicksal drohen könnte, erfüllte sie mit Angst und Schrecken. Ja, sie würde den Mann bei der nächstbesten Gelegenheit zur Seite nehmen und mit ihm reden müssen.
James sah Annora hinterher, wie sie die Große Halle verließ, und freute sich an dem sanften Schwung ihrer Hüften. Ihn plagte ein schlechtes Gewissen wegen dem, was er über Donnell gesagt hatte, auch wenn es die Wut, die in ihm hockte, ein wenig gemildert hatte. Einen Moment lang hatte er vergessen, dass Annora Französisch verstand. Er hätte vor ihr nie so grobe Worte gebrauchen dürfen. Außerdem befürchtete er, dass er ihr damit Ärger mit ihrem Cousin beschert hatte. In Zukunft musste er wohl wirklich vorsichtiger sein, dachte er, während er sich wieder Donnell zuwandte. Er merkte, dass der Mann ihn anstarrte. Offenbar war er nicht zornig, doch in seinen zusammengekniffenen Augen lag eine Warnung.
»Die ist nicht für Euch bestimmt, Bursche«, sagte Donnell, während er sich und James einen Humpen Ale einschenkte. »Ihr solltet Eure Blicke lieber nicht zu oft auf sie werfen.«
»Ist sie zu hochstehend?«, murmelte James, bevor er einen Schluck Ale nahm.
»Aye, vermutlich, auch wenn Ihr einen für einen gemeinen Mann recht hübschen Namen habt. Aber sie ist für Egan bestimmt. Ihm würde der Blick nicht gefallen, mit dem Ihr gerade ihrem hübschen Arsch nachgeschaut habt.«
James fiel es schwer, den Mann für seine groben Worte nicht zu schlagen. »Sie sind verlobt, eh?«
»Nun, das werden sie bald sein, wenn es nach Egan geht. Aber jetzt will ich Euch lieber noch etwas zu den Stühlen erklären, die ich haben will.«
Am liebsten hätte James die Augen verdreht. Wenn er nicht an der Hoffnung festgehalten hätte, bald auf dem Stuhl des Lairds zu sitzen, wäre er wahrscheinlich noch verstimmter gewesen über MacKays krampfhafte Bemühungen, auf Kosten aller anderen von Dunncraig möglichst viel Eleganz um sich herum anzuhäufen. Doch solange er seine Unschuld nicht bewiesen hatte und das Recht, über sein Land zu herrschen, nicht zurückerlangt hatte, konnte er nichts gegen die Vernachlässigung seines Landes und seiner Leute tun. Bis dahin musste er sich damit trösten, dass er die Schönheit des Keeps steigerte, während er an MacKays Vernichtung arbeitete. Außerdem wusste er, dass ihm seine Familie, sobald er seinen guten Namen und sein Land wiedergewonnen hatte, helfen würde, die Leistungsfähigkeit seines Landes wiederherzustellen. Das war das Einzige, was ihn von einer unüberlegten Handlung abhielt.
* * *
Annora rieb sich das Kreuz, während sie auf den bestellten Garten blickte. Wenn es in den nächsten Monaten genügend Sonnenschein und Regen gab, würden auf Dunncraig alle Kräuter und Gewürze vorrätig sein, die man zum Kochen und zum Heilen brauchte. Außerdem würden auch ein paar Blumen wachsen, an deren Anblick man sich erfreuen konnte. Sie war zufrieden mit ihrer Arbeit und lobte auch Meggie für ihre Hilfe. Dann sagte sie der Kleinen, sie solle auf ihr Zimmer gehen und sich waschen, und klaubte die kleinen Säckchen auf, in denen die Samen aufbewahrt worden waren, sowie die Werkzeuge, die sie zum Einbringen benutzt hatten.
Als sie sich aufrichten wollte, packte sie plötzlich jemand von hinten. Vor Schreck ließ sie alles fallen. Sie wurde grob zur Burgmauer gezerrt. Es
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