Der Wolf aus den Highlands
James«, lobte Tormand, nachdem sich alle niedergelassen hatten und er den Pokal in seiner Hand betrachtete. »Mutter hat sich sehr über die zwei Becher gefreut, die du ihr zum letzten Michaelistag geschickt hast, auch wenn es ihr lieber gewesen wäre, dich persönlich zu sehen. Diese Geschichte macht ihr ziemlich zu schaffen, du weißt es.«
Nachdem James einen kräftigen Schluck des starken Ales getrunken hatte, um die plötzliche Sehnsucht nach seiner Familie so schnell wie möglich zu ertränken, erwiderte er: »Ich weiß es, aber der Tod folgt mir auf den Fersen. Ich konnte ihn nicht an ihre Tür bringen.«
»Das weiß sie, und sie sagt oft, dass sie sich gern damit abfinden würde, dich nie mehr zu sehen, solange du nur am Leben bleibst.« Tormand grinste. »Natürlich sagt sie unserem Vater auch oft genug, dass sie nicht versteht, warum er nicht einfach nach Dunncraig reitet und MacKay in Stücke hackt.«
James lachte. Er konnte sich gut vorstellen, wie seine zierliche Mutter das sagte, und seinen Vater, der sich in aller Ruhe einverstanden erklärte, dieser Aufforderung gleich am nächsten Tag nachzukommen, wobei beide ganz genau wussten, dass er es nicht tun würde, egal, wie sehr es ihn danach gelüstete.
»Also – was hast du bislang getan, abgesehen von deiner überaus faszinierenden Tarnung?«, fragte Tormand. »Ach, übrigens, hast du all deine Haare dunkel gefärbt?«
»Nicht so viel, wie ich gern hätte«, erwiderte James, ohne auf die zweite Frage einzugehen. »Ich sage mir immer wieder, dass es nur langsam vorangeht, die Wahrheit über einen Mann herauszufinden, der es so geschickt versteht, sie zu verbergen; dass man so etwas einfach nicht beschleunigen kann.«
Simon nickte. »Wenn man auf der Hut sein muss, verzögert sich alles ganz erheblich.«
James murmelte zustimmend und betrachtete Simon Innes, während er sein Ale trank. Die grauen Augen des Mannes sprachen von Intelligenz, und James hatte den Eindruck, dass Simon diese Geistesschärfe auch gut zu nutzen verstand. Er war noch jung für einen Vertrauten des Königs. Obwohl Innes’ Züge beinahe etwas Raubtierhaftes hatten, fühlte James, dass er dem Mann ebenso vertrauen konnte, wie es der König offenbar tat. Er fragte sich nur, warum der Mann sich entschlossen hatte, ihm zu helfen; denn damit konnte er den König verärgern, zeigte er doch Zweifel an einer Entscheidung seines Lehnsherrn. James wunderte sich ein wenig, als er sich dabei ertappte, dass er diese Frage laut ausgesprochen hatte. Noch mehr wunderte ihn, dass Simon breit grinste. Das Grinsen ließ ihn weit jünger wirken und seine Züge weicher.
»Der König weiß bereits, dass ich das Urteil nicht mittrage, und er weiß auch warum. Meine Zweifel erregten auch Zweifel in ihm, aber dafür war es dann zu spät. Wenn er ein Urteil einfach zurücknimmt, könnte es ihm als Schwäche ausgelegt werden, und er könnte den Eindruck erwecken, dass er leicht zu überreden sei. So etwas ist nicht ratsam.«
»Ah, nay, natürlich nicht.« James versuchte, den Ärger hinunterzuschlucken, der in ihm aufstieg bei dem Gefühl, seinem traurigen Schicksal überlassen zu bleiben, nur damit der König als stark und entschlusskräftig dastand.
»Doch Eure Verwandten ließen es nicht auf sich beruhen.«
»Nay, das sieht ihnen ähnlich. Sturköpfe, alle zusammen, das sage ich ja schon lange.«
Tormand schnaubte. »Ganz anders als du, stimmt’s? Du bist ja so fügsam und lammfromm.«
James ignorierte seinen Bruder. »Also hat man das Urteil aufrechterhalten, obwohl es allem Augenschein nach nicht mehr gerecht war. Aber wie kommt es dann, dass Ihr nun hier seid, um zu sehen, ob Ihr die Wahrheit herausfinden könnt?«
»Nun, was mich angeht – ich benötigte nur eine kleine Einladung«, erwiderte Simon. »Der König und seine Berater hingegen brauchten weitaus mehr. Dass MacKay über die benachbarten Clans herfällt wie über seine private Speisekammer, hat Euch geholfen, auch wenn ich vermute, dass Ihr eine Weile alle Hände voll damit zu tun haben werdet, die aufgebrachten Gemüter zu besänftigen und die Leute zu entschädigen. MacKay hat eine einst friedliche Ecke unseres Landes in ein Schlachtfeld verwandelt. Das ist es, was den König und seine Berater jetzt beunruhigt. Offiziell bin ich nicht hier, und ich habe Euch nicht gesehen und Euch natürlich nie geholfen, aber all das ist mit einem kleinen Nicken und einem Wink des Königs und seiner Berater gebilligt worden.«
»Die Leute
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