Der Wolf
:
Offensives Drohen.
Aus Drohauftritten entwickeln sich manchmal Beißereien. Mit weit aufgerissenem Maul gehen die Gegner laut
knurrend und tobend aufeinander los. Nicht selten stemmen sie sich dabei mit den Vorderbeinen gegeneinander, so
daß es fast zu einer ringkampfähnlichen Situation kommt.
Typisch für die Beißerei ist aber, daß nicht wirklich gebissen,
sondern nur so getan wird und daß beide Tiere das gleiche
tun ; es darf sich also nicht einer zurückziehen, den Kopf
wegdrehen oder kräftiger zubeißen. Dieses Verhalten kann
somit nur zwischen gleichrangigen oder fast gleichrangigen Wölfen auftreten, und dementsprechend beobachtete
ich es fast ausschließlich zwischen Juvenilen und Welpen.
Als es im Rudel eine Zeitlang zwei Rüden in der Beta-Position gab (Näschen und Alexander im Herbst 1972), war es
auch zwischen ihnen recht häufig zu beobachten. Beißerei
setzt also wiederum im Prinzip freundschaftliche Beziehungen voraus ; aber anders als beim Drohen darf keine
Rangdifferenz bestehen. Nicht selten geht eine Zunahme
von Beißerei zwischen zwei Tieren späteren stärkeren Rangauseinandersetzungen voraus.
Wie wir wissen, werden diese, bevor es zu ernsthaften
Kämpfen kommt, durch Imponierverhalten ausgetragen.
Auch der Anfang sowohl einer Expansionstendenz wie einer
Unterdrückung kann durch eine Zunahme von Imponierverhalten zum Ausdruck kommen. So zeigt der Alpha-Rüde
dieses Verhalten hauptsächlich gegen den Beta-Rüden ; dieser wiederum zeigt es gegen weitere subdominante und
juvenile Rüden ; das Alpha-Weibchen zeigte es gegen subdominante und juvenile Weibchen ; die Juvenilen, jetzt nach
Geschlecht deutlich getrennt, zeigten es gegeneinander und
gelegentlich auch gegen subdominante Adulte. Es erscheint
also offenbar überall da, wo Rangkonflikte entstehen können. Ähnlich den bis jetzt besprochenen aggressiven Verhaltensweisen tritt demnach Imponieren in der Hauptsache zwischen rangbenachbarten Tieren auf, unterscheidet
Verhaltensmatrix: Imponieren mit Halsdarbieten.
sich aber etwa vom Drohen dadurch, daß es bereits Ausdruck eines fortgeschrittenen Rangkonflikts ist.
Von diesen Formen rangbenachbarter Auseinandersetzungen unterscheiden sich zunehmend die folgenden Verhaltensweisen : Zuerst haben wir das recht häufige Umstellen
(Umzingeln). Daran beteiligten sich zahlreiche Rudelmitglieder. Wieder tat sich der Beta-Rüde hervor, der häufig
Gruppenangriffe auf rangniedrige Rüden einleitete. Sofort
beteiligten sich die Juvenilen daran, die »Halbstarkenbande«,
und zwar Rüden wie Weibchen. Auch die älteren rangniedrigen Rüden griffen mit an, wenn es einem Kollegen an den
Kragen ging, und sogar die Welpen waren dabei.
Aus der Umzingelung stießen immer wieder einzelne
Tiere gegen das Opfer vor. Auch jetzt waren neben dem
Beta-Rüden vor allem die Juvenilen dabei, die auch nicht
davor zurückschreckten, andere in die Klemme geratene
Juvenile mit anzugreifen. Bei den Welpen blieb es dagegen
häufig beim bloßen Mitumstellen.
Vor dem zumeist aus Umzingeln und Vorstoßen sich
entwickelnden Schnappen wiederum schreckten die Juvenilen deutlich zurück. Sie waren zwar bei jedem Überfall
dabei, stießen auch schon einmal vor, hielten sich aber dann
doch vor dem direkten Körperkontakt zurück. Der BetaRüde und das Alpha-Weibchen schnappten indes auch beim
Vorstoßen.
Wenn auch Welpen und Juvenile nicht mit vollem Einsatz dabei waren, hatten sie doch einen großen Einfluß auf
den Ausgang derartiger Gruppenangriffe. Dem wirklichen
Angreifer – und hier tritt jetzt das ranghöchste Weibchen
ganz in den Vordergrund – erlaubt diese Hilfe der Welpen
und der Juvenilen, genügend nahe an seine Opfer zu kommen, um körperbeschädigende Bisse auszuteilen. Die Opfer
waren jetzt die rangniedrigen Weibchen, die bis dahin kaum
in Erscheinung getreten waren.
Der schon mehrmals betonte Unterschied zwischen den
Verhaltensmatrix: Vorstoßen und Schnappen.
dominanten Rüden und dem Alpha-Weibchen bei der Unterdrückung von Rangniedrigeren wird auch deutlich beim
Vergleich zweier weiterer Verhaltensweisen : Verfolgung und
Jagd. Beim Verfolgen geht oder rennt ein Wolf hinter einem
anderen her, versucht aber nicht unbedingt, diesen einzuholen, sondern nur, ihn zu vertreiben. Beim Jagen hingegen versucht er, das schnell fliehende Tier einzuholen, um
es dann aufs schwerste anzugreifen. Während die Rüden –
und hier besonders wieder der Beta-Rüde – vor allem verfolgten, war es abermals
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