Der Wolf
durchstreifen die Wölfe ihr Revier, zumeist im Trab. Dieses Tempo
können sie lange durchhalten, wenn sie dazu gezwungen
werden. So berichtet man von Wolfsjagden in Finnland,
bei denen Wölfe innerhalb von vierundzwanzig Stunden
an die zweihundert Kilometer über den hartgefrorenen
Schnee geflüchtet sind. Nach derartigen Gewaltmärschen
erlahmen die Kräfte allerdings schnell. Die Saamen in Nordskandinavien haben in früheren Zeiten viele Wölfe erlegt,
indem sie ihr Opfer Tag und Nacht auf Skiern verfolgten,
manchmal sich abwechselnd, oft aber auch wochenlang
allein, bis der Wolf vor Erschöpfung nicht mehr weiterkonnte. Wie auch viele unserer Hunde sind Wölfe in ausgeruhtem Zustand zu beachtlichen Laufleistungen fähig ;
doch an langfristiger Ausdauer sind sie gut trainierten Menschen unterlegen.
Wenn die Wölfe selbst ihr Tempo bestimmen können, ist
ihr tägliches Laufpensum naturgemäß geringer. Laufphasen wechseln ab mit Perioden der Ruhe, sozialer Kontaktnahme und des Spiels. Dave Mech folgte auf Isle Royale in
einem Winter einem Wolfsrudel 31 Tage lang. Die Tiere legten in dieser Zeit eine Strecke von 446 Kilometern zurück,
durchschnittlich 14 Kilometer täglich. An 22 Tagen hielten
sich die Wölfe jedoch in der Nähe einer erlegten Beute auf
und bewegten sich nur im kleinen Umkreis. In Wirklichkeit also legten sie die 446 Kilometer in 9 Tagen zurück,
was einen Durchschnitt von 50 Kilometer je Wanderungstag bedeutet. Da sie beim Laufen eine Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa 8 Kilometer in der Stunde einhielten, waren sie an den Wandertagen etwa 20 bis 30 Prozent
der Zeit unterwegs. In der restlichen Zeit gaben sie sich mit
anderem ab : mit Schlafen, Spielen, anderen sozialen Interaktionen, vergeblicher Jagd. Erst als sie wieder erfolgreich
waren, blieben sie einige Tage an ihrer Beute, meistens so
lange, bis diese restlos verzehrt war.
An vielen Tagen müssen die Wölfe also trotz harter Arbeit
ohne Futter auskommen. Wenn sie dann etwas getötet haben,
können sie Unmengen an Futter auf einmal verschlingen.
In der Literatur wird von einem Wolf berichtet, der fast
9 Kilogramm auf einmal fraß. Nach meiner Erfahrung
mit den Gefangenschaftswölfen erscheint mir dies nicht
ungewöhnlich viel. Die Nahrung wird außerdem bereits
in wenigen Stunden verdaut, so daß die Tiere bald weiterfressen können. Nur so ist es zu erklären, daß ein Wolfsrudel einen 400 Kilogramm schweren Elch bis auf einige
Knochen und Fellreste in zwei Tagen verschwinden lassen
kann. Ein Wolf ist imstande, innerhalb von 24 Stunden bis
zu 20 Kilogramm zu fressen. Dafür vermag er aber auch
sehr lange ohne Futter auszukommen. Es scheint, daß Wölfe
14 Tage und länger ohne Nahrung ihre normale Wanderaktivität beibehalten können.
Die tägliche Routine zwischen Wandern, Jagen, Fressen,
sozialer Kontaktnahme und Schlafen ist von der Jahreszeit, dem Gelände, dem Beuteangebot und anderen Faktoren abhängig. In den Abruzzen zum Beispiel verhalten sich
die Wölfe, wie wir noch sehen werden, ganz anders, ebenso
in der kanadischen Arktis, wo sie den migrierenden Rentierherden folgen, und in Finnland, wo sie vom Menschen
stark bejagt werden. Allen Wölfen gemeinsam ist indessen
ihre Fähigkeit, lange ohne Nahrung auszukommen und
große Futtermengen in kurzer Zeit zu verwerten. Beides ist
bei den harten Lebensbedingungen, unter denen sie häufig
existieren müssen, sicherlich von großem Vorteil und ein
Grund für die einst weite Verbreitung des Wolfes.
Jagd- und Tötungsweisen
Eine weitere Voraussetzung für die Fähigkeit der Wölfe,
unter ökologisch sehr unterschiedlichen Bedingungen zu
existieren, ist ihre anpassungsfähige Jagdweise. Gejagt wird
eigentlich immer. Wenn Wölfe eine Chance sehen, probieren sie diese aus, sei es, eine Maus zu fangen, sei es,
einem Elch nachzujagen. Dabei haben sie für jede Beutegröße und -art eine bestimmte Jagd- und Tötungsweise
entwickelt. Bei einer Maus springen sie, wie der Fuchs, in
einem Bogen hoch und stoßen dann zuerst mit den Vorderpfoten und gleich darauf mit der Schnauze auf die so
festgehaltene Beute. Die Maus wird ein paarmal durchgekaut und dann verschlungen. Von meinen Wölfen jagten
meistens die Welpen Mäuse oder auch fliegende Insekten,
und das oft stundenlang; auch aus freier Wildbahn wird
dies berichtet. Ähnlich, wie sie Mäuse greifen, fangen die
Wölfe auch ein Kaninchen oder einen Hasen. Wenn sie die
fliehende Beute erreichen, drücken sie sie mit den
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